Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
verloren hatte.)
Brief von HST an JSW
27. Okt. 77
Jann/
– der Zeitpunkt ist gekommen, um uns über den »Fall James Earl Carter« ernsthaft Gedanken zu machen. Wenn es richtig gemacht werden soll, dauert die Sache etwa 6 Monate, dazu sämtliche Spesen, ein Fenster mit Blick auf den Springbrunnen und $ 44k.
– Ich habe Besseres zu tun; andererseits hatte Moses das auch.
– Irgendwer wird es machen, + der Preis wird hoch sein. Daher umseitig schon mal ein paar Empfehlungen meinerseits, in der Reihenfolge der beiderseitigen Präferenzen: {Seitenwechsel}
1 – die ganze Idee einfach ignorieren und weiter mit den Wölfen heulen
2 – richtige Profis auf den Job ansetzen
3 – wenn alles andere schiefgeht, + du immer noch wissen willst, wie es ist, in einem tosenden Feuersturm zu stehen, ruf mich an.
Ein dreiteiliger »Gastspielvertrag«, beginnend im Sept. ’78 – gefolgt von einem 200-Seiten-Buch im Sommer ’79 – würde die Sache schön abrunden – (leg noch mal $ 250k Vorschuss für das Buch drauf, einfach nur wegen der alten Zeiten …)
Okay, das war’s für heute
/H
Angst und Schrecken im Wahlkampf ’76: Drittklassige Romantik, billige Rendezvous
3. Juni 1976
Es fällt extrem schwer, sich auf die schäbigen Realitäten des Wahlkampfs von 76 zu konzentrieren. Die Vorstellung, auch nur über die frühen Stadien dieses zynischen und zunehmend rückwärtsgewandten Wahlkampfs berichten zu müssen, hat mich in einen Zustand annähernd totaler Verzweiflung fallen lassen, und bevor ich mich darauf einlasse, bis November mit diesen Leuten zu tun haben zu müssen, ändere ich lieber meinen Namen und suche mir einen Job als professioneller Alligatorwilderer in den Sümpfen um Lake Okeechobee. Mein Geisteszustand lässt es nicht zu, mir erneut ein ganzes Jahr zu versauen, indem ich total in einen Präsidentschaftswahlkampf eintauche … und irgendwo in meinem Hinterkopf macht sich der immer stärker werdende Verdacht breit, dass auch an diesem Wahlkampf irgendwas faul ist; aber eine solche Einschätzung sollte ein Journalist zu diesem Zeitpunkt nicht abgeben. Zumindest nicht in gedruckter Form.
Deswegen werde ich mir für den Augenblick zumindest sowohl die Verzweiflung als auch die endgültige Einschätzung verkneifen. Beides wird sich in den nächsten paar Monaten als in hohem Maße gerechtfertigt herausstellen – und bis dahin kann ich mich auf die in hohen Ehren gehaltene, aber selten zitierte Überzeugung der meisten hochrangigen Politprofis aus Washington berufen, wonach niemand mehr als eine Präsidentschaftskampagne auf höchstem Niveau absolvieren kann. Diese Daumenregel wurde meines Wissens bisher zwar nie auf Journalisten angewendet, aber es gibt reichlich Belege dafür, dass es angebracht wäre. Ich halte es für eine völlige Fehleinschätzung zu glauben, dass irgendwer unter den Journalisten des Landes – und seien es die klügsten und besten von ihnen – in der Lage ist, sich mehr als einmal auf jenes Level von wahrhaft fanatischer Energie, Engagement und totaler Konzentration hinaufzuschrauben, das erforderlich ist, um in dem immer reißender werdenden Strudel eines Präsidentschaftswahlkampfs den Kopf von Anfang bis Ende über Wasser zu halten. Es herrscht Hochbetrieb in diesem Zug zur Hölle, und da ist kein Platz für jemanden, der sich ab und zu entspannen und wie ein Mensch benehmen möchte.
Es ist ein Job für ehrgeizige Fanatiker und Action-Junkies im Endstadium … und dies trifft in besonderem Maße zu auf einen Wahlkampf wie diesen, der keinerlei zentrales, alles bestimmendes Thema aufbieten kann wie beispielsweise den Vietnamkrieg, der 1972 eine Vielzahl von talentierten und hoch motivierten Nichtpolitikern dazu gebracht hat, sich im Wahlkampf zu engagieren.
Dieses Mal sind die Themen zu breit gefächert und gleichzeitig zu komplex, als dass sich daraus kurzerhand ein polarisierender Kreuzzug unter dem Motto: »Auf welcher Seite stehen Sie?!« aufziehen ließe. Die Ideologen werden im Wahlkampf von ’76 kaum eine ernste Rolle spielen; diesmal werden sich die Technokraten austoben dürfen – im Auftrag und in Diensten von Politikern … Was bei jeder anderen Wahlkampagne auch nicht so viel anders ist, nur dass es diesmal so offensichtlich sein wird, dass es förmlich wehtut. Dieses Mal, zum 200. Jahrestag der Geburt dessen, was wir einmal den »amerikanischen Traum« nannten, werden wir Tag für Tag aufs Neue in der Presse und im Fernsehen mit der Nase in den
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