Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
einfachen Funkgeräte beizubringen, die ich aus Hongkong mitgebracht habe – zusammen mit tausend Hits Lomotil und einem Dreiviertelliter Emetrol, einem hochwirksamen Mittel gegen Übelkeit. Aber nicht einmal die hellsten unter den Time- und Newsweek -Korrespondenten waren in der Lage, mit einem einfachen Walkie-Talkie umzugehen.
Nach der jeden Samstagmorgen stattfindenden Pressekonferenz des Vietcong auf einem streng bewachten VC-(oder PRG-)Sektor des Flughafens Tan Son Nhut, Saigons einziger noch funktionierender Luftverbindung zur Außenwelt, war die Stimmung in dem auffällig von Weißen dominierten Pressekorps so düster, dass viele von ihnen noch schnell ihre gesamte Drei-Liter-Monatsration Schnaps im PX-Laden der US-Botschaft abholten. Und da das Pressebüro der Botschaft meinen Antrag auf Zugang zum PX Shop bisher noch nicht genehmigt hat, beschloss ich, im Hotel zu bleiben und von der Basisstation aus (ein Sanyo Transworld Blue Impulse 7700) so lange wie möglich das Gequassel der nutzlosen Deppen zu verfolgen, die von mir den Auftrag hatten, während der gesamten Fahrt vom Hotel durch den Verkehr im Stadtzentrum Saigons bis zu dem fünf Meilen entfernten PX auf dem Luftwaffenstützpunkt in Funkkontakt zu bleiben, damit ich feststellen konnte, wie groß die Reichweite der Handgeräte tatsächlich war.
Auf dieser vertrackten Route wird das Spießrutenlaufen für uns alle stattfinden, sobald es wirklich zu krachen anfängt und die Helikopterevakuierungspläne der Botschaft sich in Rauch auflösen, weil es in den qualmenden Straßen nur so wimmeln wird von Menschenmassen, die von Panik erfüllt sind, und von fliehenden Angehörigen der ARVN, die mit ihren M-16-Gewehren die Hubschrauber unter Beschuss nehmen … so gesehen schien es eine gute Idee zu sein, die Funkgeräte erst einmal einem Test zu unterziehen und sich im Umgang mit ihnen vertraut zu machen, bevor der unausweichliche Albtraum endgültig losbricht.
Leider erwies sich der Testlauf als totaler Fehlschlag. Der Mann von Time drückte versehentlich einen Knopf auf der Rückseite des Geräts und sendete die ganze Zeit auf der falschen Fre quenz, während der Typ von Newsweek die Funktion des »Sprechknopfs« nicht mal ansatzweise kapierte … und ich mich an der Basisstation heiser brüllen konnte, ohne auch nur die geringste Reaktion zu ernten, von sporadischem Gequäke auf Vietnamesisch einmal abgesehen … zum krönenden Abschluss musste ich fünf Stunden später auch noch feststellen, dass die beiden Handgeräte noch immer eingeschaltet waren, eine Nachlässigkeit, die mich ein Dutzend Batterien kostete, von denen hier in Saigon kaum noch welche aufzutreiben sind. Natürlich gibt es sie haufenweise ein paar Straßen weiter auf dem sogenannten »Markt der Diebe«, doch sind sie meistens gebraucht oder ganz tot und deshalb nicht das, worauf man angewiesen sein möchte, wenn es wirklich drauf ankommt.
Es gibt derzeit nur eines, worüber hier in Saigon ungeteilte Einigkeit herrscht, und das ist die Tatsache, dass keiner von uns auch nur die geringste Ahnung hat, was wir brauchen, tun müssen oder wenigstens versuchen sollten, sobald der Vulkan, auf dem wir sitzen, hochgeht. Und der fehlgeschlagene Testlauf mit den Funkgeräten lässt unsere Aussichten, dass wir in der Lage sein werden, adäquat auf Dinge wie Schrapnellgeschosse aus 130-mm-Geschützen zu reagieren oder auf menschliche Körperteile, die einem um die Ohren fliegen und die Straßen der Innenstadt Saigons in ein asiatisches Remake der letzten Tage von Berlin verwandeln, nicht allzu rosig erscheinen.
Selbst wenn der Flughafen Tan Son Nhut weiter den Betrieb aufrechterhalten kann, wird die unweigerlich ausbrechende Panik in den Straßen es den meisten von uns unmöglich machen, dorthin zu gelangen … Und sobald der Flughafen erst einmal durch Raketenbeschuss oder feindliche Menschenmengen lahmgelegt ist, besteht unsere einzige Aussicht zu entkommen darin, zu einer der »geheimen« Sammelstellen zu gelangen und es irgendwie an Bord der Flotte der »Jolly Green Giants« genannten Chinook-Helikopter zu schaffen, mit denen die Botschaft uns auszufliegen gedenkt.
Herrgott, was für ein Albtraum! In Saigon gibt es derzeit etwa eine halbe Million Leute, die alle damit rechnen, abgeschlachtet zu werden, sobald der Vietcong und die nordvietnamesische Armee die Stadt überrennen und die deshalb sämtliche Sammelstellen kennen und – ebenso wie wir in unseren Hotels im Stadtzentrum – rund um
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