Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Radiospots, die wir laufen ließen, hätten politische Eunuchen wie Tunney und Ottinger die Haare zu Berge stehen lassen. Unsere Erkennungsmelodie war Herbie Manns »Battle Hymn of the Republic«, die wir immer wieder abspielten – als düsterer Hintergrund zu heftigen Tiraden und übelstem Spott, den wir über unsere rückwärtsgewandten Gegner niedergehen ließen. Ignorant wie sie waren, stimmten diese ein großes Gejammer und Gemecker an, wir würden uns »der Techniken der Madison Avenue« bedienen, während es in Wirklichkeit Lenny Bruce in Reinkultur war. Aber die Typen hatten keine Ahnung, wer Lenny überhaupt war; ihr Humor war bei Bob Hope stehen geblieben, eventuell mit einer Prise Don Rickles – jedenfalls bei der Handvoll Swinger, denen es nichts ausmachte zuzugeben, dass sie die Pornofilme an den Wochenenden in Leon Uris’ Haus am Red Mountain ganz geil fanden.
Wir hatten ein Heidenvergnügen, diese Arschgeigen aufzuspießen. Unser Mann im Radio war Phil Clark, ein ehemaliger Nachtclubkomiker, der diverse Spots machte, die den Leuten vor ohnmächtiger Wut den Schaum vor den Mund treten und sie ihren eigenen Schwänzen hinterherjagen ließen. Die Edwards-Kam pagne war insgesamt geprägt von einem wilden Humor auf hohem Niveau, und das war es vermutlich, was uns nicht den Verstand verlieren ließ. Es war das zutiefst befriedigende Bewusstsein, dass, selbst wenn wir verloren, derjenige, der uns geschlagen hatte, niemals die Narben loswerden würde, die er dabei eingefangen hatte. Wir empfanden es als absolute Notwendigkeit, unsere Gegner derart gründlich einzuschüchtern, dass sie, selbst im Falles eines schalen Sieges, jedem einzelnen Morgen bis zum nächsten Wahltag mit Schrecken entgegensehen würden.
Und es hat ganz wunderbar funktioniert – beziehungsweise es war höchst effektiv. Spätestens im Frühjahr 1970 war an allen Fronten klar, dass die alten Machtstrukturen von Aspen die Stadt nicht mehr unter Kontrolle hatten. Im neuen Gemeinderat herrscht eine 3-zu-4-Verteilung, mit Ned Vare als Sprecher des einen Lagers und einem Zahnarzt namens Comcowich aus dem Birch Lager auf der anderen Seite. Das Resultat davon ist, dass Eve Homeyer, die während des Wahlkampfs immer betont hatte, dass der Bürgermeister »nur eine repräsentative Rolle« spielte, nun in der prekären Situation ist, bei jeder kontroversen Abstimmung für eine klare Mehrheit sorgen zu müssen. Bei den ersten, eher unbedeutenden Entscheidungen ließ sie ihren Agnew-mäßigen Überzeugungen freien Lauf … doch die Reaktionen der Öffentlichkeit waren unschön, was dazu führte, dass der Gemeinderat von einer nervösen Pattsituation gelähmt wird, in der keine Seite sonderlich interessiert ist, irgendwas zur Abstimmung zu bringen. Die politischen Realitäten sind in einer Kleinstadt viel greifbarer und können an die Nieren gehen, denn es gibt keine Möglichkeit, bei jeder Entscheidung, die man trifft, draußen auf der Straße Flüchen und Verwünschungen aus dem Weg zu gehen. Ein Stadtrat in Chicago kann sich komplett von den Leuten abschirmen, denen er mit seinem Abstimmungsverhalten auf die Füße tritt – in einem Ort wie Aspen ist das nicht möglich.
Die gleichen Spannungen traten auch an anderen Fronten auf: Der Rektor der örtlichen Highschool versuchte, einer jungen Lehrerin zu kündigen, die linksgerichtete Thesen im Unterricht vertreten hatte, doch ihre Schüler traten daraufhin in den Streik und bewirkten nicht nur ihre Wiedereinstellung, sondern beinahe auch die Entlassung des Rektors. Kurz darauf setzten Ned Vare und ein lokaler Anwalt namens Shellman dem Straßenbauministerium so sehr zu, dass sämtliche Mittel zum Bau eines vierspurigen Highway durch die Stadt gestrichen wurden. Dies war ein schwerer Schlag für die County Commisioners, denn der Highway war ihr Lieblingsprojekt, und jetzt war alles geplatzt, dem Untergang geweiht … von derselben Meute von Arschgeigen, die vergangenen Herbst schon all diesen Ärger ausgelöst hatten.
Wir fingen Mitte August mit den Vorbereitungen der Kampagne an – sechs Wochen früher als beim letzten Mal. Allerdings gilt es, sorgfältig aufs Tempo zu achten, ansonsten kann es gut passieren, dass uns zwei Wochen vor der Wahl die Puste ausgeht und wir nur noch schlaff in den Seilen hängen. Ich habe eine albtraumhafte Vision, dass unsere ganze Aktion am 25. Oktober zu einem orgiastischen Höhepunkt kommt: zweitausend kostümierte Freaks, die synchron Polka tanzend vor dem
Weitere Kostenlose Bücher