Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
alles wieder hin, glaub mir nur, keine Sorge …«
Ich zuckte die Schultern und hängte den Hörer ein. Warum nicht? dachte ich. Es war sowieso zu spät, um noch einen Rückflug nach Colorado zu bekommen, also konnte ich auch im Plaza einchecken und eine weitere Kreditkarte loswerden – und einen weiteren Freund. Conrad versuchte , ja, das wusste ich – aber ich wusste auch, dass er diesmal nach Strohhalmen griff, denn wir beide verstanden, was es mit dem tiefen, täuschend schmal aussehenden Graben auf sich hatte, den Ali in achtzehn Jahren Berühmtheit zwischen seiner »öffentlichen« und seiner »privaten« Person ziehen musste.
Es handelt sich wohl eher um einen Ring von Gräben und nicht bloß um einen, und Ali beherrscht inzwischen die subtile Kunst, jeden dieser Gräben als das letzte große Hindernis zwischen ihm und dem Eindringling erscheinen zu lassen … Aber da bleibt immer noch ein weiterer Graben, über den man hinübermuss, und nicht viele neugierige Fremde sind jemals so weit gekommen.
Manche Leute geben sich zufrieden mit einem Lächeln und einem Witz in der Hotelhalle, und andere werden darauf bestehen, zwei oder gar drei Gräben zu überqueren, ehe sie sich in »vertraulicher Nähe« zum Champ fühlen … Aber nur sehr wenige Menschen wissen, wie viele Ringgräben wirklich da sind.
Wenn ich schnell raten sollte, würde ich sagen: neun. Aber Alis schneller Verstand und sein Instinkt für Public Relations können leicht den dritten Graben als den neunten erscheinen lassen. Und diese Welt ist voller Sportjournalisten, denen nie klar wurde, wo sie standen, bis sie dieselben »privaten Gedanken« und »spontanen Geistesblitze und Beweise von Beredsamkeit«, die sie dem Champ in einem der überaus seltenen Augenblicke persönlicher Kommunikation unter vielen Mühen entrissen hatten, Wort für Wort, schwarz auf weiß unter einem anderen Reporternamen gedruckt fanden.
Dies ist kein Mann, der gekaufte Profis und Durchblicker braucht , damit sie für ihn sprechen, aber er hat doch gelernt, sie so sorgfältig und überlegt zu benutzen, dass er sich selbst Ruhe gönnen kann bis zu den seltenen Augenblicken einer Konfrontation, die ihn interessiert … Wovon es nur sehr wenige gibt, aber jeder, der Muhammad Ali einmal auf dieser Ebene begegnet ist, wird es niemals vergessen. Er hat einen sehr einsamen Sinn für Humor und zudem eine Selbsteinschätzung, die so stark ist, dass sie zu Zeiten im nervösen Niemandsland zwischen Egomanie und echter Unverwundbarkeit zu schweben scheint.
Und jetzt, als sich mein Taxi ruckweise durch die schneematschschwarzen Straßen von Brooklyn in Richtung Plaza Hotel bewegte, brütete ich über Conrads geistesgestörtem Plan, der mir nach meinem Gefühl fast unweigerlich einen weiteren Albtraum von beruflichem Kummer und persönlicher Erniedrigung bescheren würde. Ich fühlte mich wie das Opfer einer Vergewaltigung auf dem Weg zu einer Diskussion mit dem Vergewaltiger in der Johnny Carson Show . Nicht mal Hal Conrads feinfühliger Sinn für die Realität könnte mich über Graben Nummer 5 bringen – und auch das wäre nicht genug, denn ich hatte von Anfang an deutlich gemacht, dass ich an nichts sonderlich interessiert war, was nicht mindestens hinter Graben Nummer 7 oder 8 lag.
Und das sollte für meine Zwecke durchaus reichen, denn meine Vorstellung von Nummer 9 war genau genug, um zu wissen, dass Muhammad, wenn er wirklich so smart war, wie ich dachte, mich jenen letzten Graben niemals sehen oder auch nur wittern lassen würde.
Wilfrid Sheed, ein Autor mit elegantem Stil, der ein ganzes Buch mit dem Titel Muhammad Ali geschrieben hat, ohne den sechsten oder siebten Graben zu überqueren, ganz zu schweigen von dem neunten, hat das nebelverhangene Schlachtfeld besser beschrieben, als ich es kann … aber er wurde auch viel besser dafür bezahlt, und das schafft vielleicht einen gewissen Ausgleich in Situationen, die sonst unerträglich wären.
Auf jeden Fall sei hier Sheed zitiert, der sich über die Seelenqualen auslässt, die schon der Versuch mit sich bringt, mit dem Hauptakteur seines 20-Dollar-Buches zu sprechen:
»… Ali bewegt sich so schnell, dass er sogar seinen eigenen Leuten durch die Maschen geht und keiner je genau zu wissen scheint, wo er eigentlich ist. Ich stehe kurz vor einem nochmaligen Aufbruch in sein Trainingscamp in den Poconos, als mich die Nachricht erreicht, dass er das Camp endgültig verlassen hat. Was? Wohin? Die Gerüchte von seinem
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