Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
dritten Weg zu gehen: Er verzichtete ganz und gar auf Wörter und lebte seinen eigenen Film.
Ein brauner Jay Gatsby – nicht schwarz und mit einem Kopf, der nie weiß sein würde: Er bewegte sich von Anfang an mit demselben Instinkt, der auch Gatsby vorantrieb – eine nimmer endende Faszination durch das grüne Licht am Ende der Pier. Er hatte Hemden für Daisy, magischen Einfluss für Wolfsheim, einen delikaten und auf gefährliche Weise verletzlichen Ali-Gatsby-Shuffletanz für Tom Buchanan und nicht die geringsten Antworten für Nick Carraway, den Wortsüchtigen.
Es gibt auf dieser Welt zwei Sorten von Leuten, die aus der Defensive boxen: die eine lernt früh, sich auf Reaktionen und schnelle Reflexe zu verlassen und davon zu leben, und die andere – die mit der Neigung zum Spiel mit hohem Einsatz – besitzt den Instinkt, aus dem eigentlich defensiven Stil des Counter-Punchers eine Kunst der Aggression zu machen.
Muhammad Ali entschied sich eines Tages vor langer Zeit, nicht lange nach seinem 21. Geburtstag, dass er nicht nur auf seinem eigenen Gebiet der König der Welt sein wollte, sondern auch noch Kronprinz auf den Gebieten aller anderen …
Das sind sehr, sehr HOHE Ansprüche – auch wenn man sie nicht ganz erfüllen kann. Die meisten Leute können nicht einmal fertigwerden mit den Geschehnissen in dem Bereich, den sie sich zu ihrem Gebiet wählten oder ihr Gebiet nennen müssen. Und die wenigen, denen es gelingt, sind gewöhnlich klug genug, dieses Glück nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
Das war immer der Unterschied zwischen Muhammad Ali und uns anderen. Er kam, sah, und wenn er auch nicht ganz siegte – er kam doch dem Sieg so nahe wie kaum ein anderer, den wir in der Zeitspanne dieser verdammten Generation erlebt haben oder noch erleben werden.
Res ipsa loquitur.
Die Palm-Beach-Story
Nachdem die Zusammenarbeit zwischen Hunter und dem Rolling Stone ein paar Jahre lang geruht hatte – Anlass dafür waren Projekte, aus denen, aus welchen Gründen auch immer, nichts wurde, sowie Abgabetermine, die nicht eingehalten –, übernahm er 1982 den Auftrag, über einen Scheidungsprozess zu berichten, von dem sich damals schon abzeichnete, dass er sich zum skandalösesten und schlagzeilenträchtigsten Prozess der jüngeren Geschichte ausweiten würde. Die Parteien waren Herbert »Peter« Pulitzer jr. und seine von ihm getrennte Frau Roxanne, Schauplatz des Geschehens war Palm Beach in Florida. »Große Namen, die in den Dreck gezogen werden, Sodomie in mehreren Fällen, Lügen, Verrat und Irrsinn in Reinkultur – der Pulitzer-Fall hatte alles«, schrieb er. Hunter tauchte ein in die lokale Szene superreicher Müßiggänger und war ebenso fasziniert von den Details, die in der Verhandlung zutage traten, als auch von den Nebenaspekten und ihren Konsequenzen, die sich daraus ergaben (»Was soll ein Richter von zwei Koksnasen halten, die im letzten Jahr 441000 Dollar für ›Diverses bzw. nicht Spezifiziertes‹ ausgegeben haben?«), und die fertige Story zeigt ihn wieder in alter Form. Die Tatsache, dass sich zwischen ihm und Roxanne Pulitzer im Verlauf des Ganzen eine lebenslange Freundschaft entwickelte – und das, nachdem er sie in dem Artikel als eine »in die Jahre gekommene PanAm-Stewardess« bezeichnet hatte –, mag als Indiz für seinen legendären Charme gelten.
Liebe im Palm-Beach-Express: Der Pulitzer-Scheidungsprozess
21. Juli 1983
West Palm Beach, Florida, 28. Dezember 1982 (AP) – Herbert Pulitzer jr., der millionenschwere Verlegererbe, erhielt heute das Sorgerecht für seine fünfjährigen Zwillingssöhne zugesprochen. Das Berufungsgericht gewährte seiner Frau Roxanne Alimente in Höhe bis zu 50000 Dollar. Richter Carl Harper beschuldigte Mrs. Pulitzer mehrerer »abscheulicher Fälle von Ehebruch und anderer schwerwiegender Verfehlungen« und bestimmte, dass die 31-Jährige das eheliche Anwesen in Palm Beach, das sie seit der Trennung mit den Kindern bewohnt, zu verlassen hätte. Der Schuldspruch wurde nach einer achtzehntägigen Verhandlung gefällt, während der Zeugen von Kokainmissbrauch, außereheliche Beziehungen, Inzest, Lesbianismus und mitternächtlichen Séancen berichteten. Die Verhandlung wurde im November beendet.
Dieses Urteil war so streng, dass es selbst altgediente Gerichtsreporter schockierte. »Ich konnte es einfach nicht glauben«, sagte einer von ihnen danach. »Er hat sie verprügelt wie einen Hund.«
Geschichte besteht nur aus Tratsch.
– Harold
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