Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
lebenswichtig für die Menschen, die hier leben, und nur wenige missverstehen das. Doch damit kommen sie nicht lange durch. Die Strafe dafür, dass jemand vergessen hat, an welchen Platz er gehört, kann auf dem Fuß folgen und furchtbar sein. Ich habe Freunde in Palm Beach, die sich normalerweise sehr entgegenkommend verhalten, aber als sich herumsprach, dass ich in der Stadt war und Fragen zum Pulitzer-Scheidungsprozess stellte, mied man mich wie einen Aussätzigen.
Die schnellste Straße der Welt
So war es zumindest letzten Herbst zu Beginn des Pulitzer gegen Pulitzer -Prozesses. Nicht einmal die heftigsten Winterregen seit vierzig Jahren konnten erklären, warum so wenig Einheimische in der Stadt waren, hatte Palm Beach doch ein Weltklassespektakel zu bieten, um die trüben Tage der Nebensaison aufzuhellen.
Der Miami Herald nannte ihn den schmutzigsten Scheidungsprozess in der Geschichte von Palm Beach – einen Skandal, so widerlich und folgenschwer, dass die halbe Stadt aus Angst, hineingezogen zu werden, nach Frankreich oder Mallorca entfloh. Menschen, die normalerweise im Herbst zu Hause bleiben, um ihre zahllosen Schlafzimmer renovieren zu lassen oder ihrem Bootshaus ein neues Dach zu gönnen, fanden gute Gründe, einen Besuch in Brasilien zu machen. Die Justiz von Palm Beach schwang ihren Hammer über dem Kopf der jungen Roxanne Pulitzer, eines Mädchens aus einfachem Elternhaus: Sie hatte vor ein paar Jahren den gefragtesten Junggesellen der Stadt geheiratet und war jetzt in einen Rosenkrieg verwickelt.
Der Prozess sorgte überall auf der Welt für hässliche Schlagzeilen. Niemand wollte aussagen. Scheidungen gehören in Palm Beach zur Routine, aber bei dieser sah es anders und sehr gefährlich aus. Plötzlich stand der Lebensstil der Stadt vor Gericht, und prominenten Bürgern wurden Dinge zur Last gelegt, die unter ihrem Niveau waren.
Das Scheidungsverfahren Pulitzer gegen Pulitzer wird bei einigen der angesehensten Familien der Gesellschaft von Palm Beach dauerhafte Narben hinterlassen. Es wird Klagen und Gegenklagen geben, die von öffentlichem Inzest und Orgien bis zu schwarzer Magie, Wahnsinn, Kindesmissbrauch und hoffnungsloser Kokainabhängigkeit reichen.
Die unanständig Reichen in Amerika wurden als wirklich unanständig dargestellt, als eine Sippschaft wild gewordener Säufer und Sodomiten, die auf ihrer Privatinsel Amok laufen und Tag und Nacht im Kokainwahn wüten. Beim Namen Palm Beach, so lange gleichbedeutend mit altem Besitz und aristokratischer Lebensart, wurden mit einem Mal haltlose Verderbtheit assoziiert und ein Ort, an dem Preisschilder völlig unerheblich und die Reichen immergeil sind, wo verhätschelten Haustieren offen in der Kirche gehuldigt wird und nackte Millionäre ihren eigenen Töchtern in aller Öffentlichkeit die Büstenhalter von den Titten knabbern.
Feuer in den Eiern
Ohne besonderen Grund kam ich an einem regnerischen Novemberabend in Palm Beach an. Ich war auf dem Weg nach Süden, nach Miami, und wollte weiter zu einer Hochzeit nach Nassau. Aber die sollte erst in zwei Wochen stattfinden, und daher hatte ich etwas Zeit totzuschlagen. Miami schien mir jedoch dafür der falsche Ort zu sein. Zwei Wochen Zerstreuung in dieser Stadt können einen Mann für immer aus der Bahn werfen. Miami ist das Hongkong des Westens. Hier wiegen sich heutzutage nicht einmal mehr die Schuldigen in Sicherheit.
Wie dem auch sei – ich beschloss, in Palm Beach haltzumachen, um mir das berüchtigte Scheidungsverfahren genauer anzusehen. Die Denver Post , von der ich eigentlich nur den Sportteil las, hatte genügend bizarre Schlagzeilen gebracht, um auch das Interesse eines Laien wie mir zu wecken. Große Namen wurden in den Schmutz gezogen, es war von Unzucht, Verrat und Wahnsinn die Rede – die Pulitzer-Geschichte hatte alles, was man sich wünschen konnte, wenn man in der richtigen Stimmung war.
Und ich war in der richtigen Stimmung. Ich wollte es so richtig krachen lassen, mit den Reichen feiern, Gin trinken, Cabrios fahren, Kokain schnupfen und mit schönen Lesben herumtollen. Die Story war mir ganz egal, sie würde sich schon von selbst entwickeln. Sie war in jeder Hinsicht reif dafür.
Eine gefährliche Einstellung für so ein ernstes Thema. Diese Story verlangte nach dem »guten alten Rein-Raus«, wie man in der Branche sagt: den Schwung mitnehmen, die besten Sachen abschöpfen und sie groß rausposaunen. Sollen doch die örtlichen Reporter die Drecksarbeit machen. Wir
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