Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Conrad
Dieser Tage liegen allerhand Wracks neben der Überholspur. Sogar die Reichen verspüren deswegen Unsicherheit, und die Leute suchen nach Gründen. Die Gescheiten sagen, dass sie es nicht begreifen können, und die Beschränkten schniefen Kokain in Luxusdiscos und stampfen zu den fiebrigen Beats. Diese sind überall im Land zu hören oder zumindest zu fühlen. Das Stampfen der Reichen ist kein Geräusch, das man in schweren Zeiten ignorieren sollte. Gewöhnlich bedeutet es nämlich, dass sie besorgt sind oder verwirrt, und wenn die Reichen besorgt und verwirrt sind, dann führen sie sich auf wie wilde Tiere.
So ist die Situation in Palm Beach, und die Einheimischen sind nicht glücklich darüber. Von überall her droht Ärger. Die Profite sinken, das Konzept der Privatsphäre geht den Bach runter und der Präsident ist ein Narr. Solche Nachrichten wollen diese Leute nicht hören und schon gar nicht darüber nachdenken. Kommunalobligationen und Dividenden sind der Lebenssaft dieser Stadt, und dieser Saft muss unter allen Umständen fließen.
Die Reichen leben nach bestimmten Regeln, und zwei der wichtigsten lauten: Privatsphäre und Informationsquelle gehören um jeden Preis geschützt – wenn auch nicht unbedingt in der Reihenfolge. Das käme ganz auf die Situation an, heißt es hier; und alles habe seinen Preis, sogar die Frauen.
Im Herbst ist es in Palm Beach ziemlich ruhig. Die Anwesen entlang des Ocean Boulevard sind verlassen und werden während der Hurrikanzeit, die erst im Dezember endet, verbarrikadiert. Mit dem Winter kehren auch die Reichen wieder auf die Insel zurück.
Dann beginnen die großen Gesellschaftsveranstaltungen. Vom Patrons Opera Guild Luncheon im Colony Hotel im November bis zur Eröffnung des Lannan Foundation Museum im frühen März ist immer was los: weiße Krawatten, goldene Schuhe, Wohltätigkeitsbälle im Breakers, der Abschlussball im Bath and Tennis Club und unzählige Cocktailpartys.
»Achtzig Prozent des Weltvermögens trifft sich zur Hauptsaison hier«, erzählte mir ein einheimischer Dekorateur mitten in der Nebensaison eines Abends beim Essen im Dunhills. »Das ist sehr aufregend.«
Die Herbstmonate wären dagegen sehr langweilig, fügte er hinzu. Trotzdem ist es sehr schön hier – wenn es einem nichts ausmacht, im Haus zu bleiben. Die See ist rau, der Strand erinnert an Norwegen, und unerbittlicher Monsunregen peitscht Tag und Nacht über die Insel. Nur Bedienstete trauen sich bei diesem Wetter vor die Tür, und die einzigen Autos auf der Straße gehören Leuten, die sich um ihr Geschäft kümmern müssen.
Denn das Geschäft ist das Geschäft von Palm Beach, selbst an einem regnerischen Tag in der Nebensaison. Obwohl die Stadt den Ruf genießt, das Mekka des Müßiggangs und des Luxus zu sein, sind sich die Leute, die hier wohnen, ihres Reichtums sehr wohl bewusst und achten peinlich genau darauf, ihn nicht zu verlieren. Nackte Gier wird nicht gern gesehen, daher werden die Geschäfte diskret – oder gar unter vier Augen – abgewickelt. Manche hier sind im Immobiliengeschäft, andere verbringen den ganzen Tag am Telefon, schreien ihre Börsenmakler an und verdienen dabei 1000 Dollar in der Minute, wiederum andere kaufen pfundweise flottes Kokain und widmen sich untereinander einer ganz anderen Art von Geschäft.
Gelegentlich kommt es zu abscheulichen Skandalen – brutalen Prozessen um Geld, bizarren Orgien im Bath and Tennis Club oder einer echten Ungeheuerlichkeit wie dem Ansinnen einer altersdementen 88-jährigen Erbin, ihren minderjährigen kubanischen Butler zu heiraten. Aber an Palm Beach ziehen die Skandale vorüber wie Winterstürme, und es ist lange her, dass in dieser Stadt jemand eingesperrt wurde, weil er sich abartig aufgeführt hatte. Die Gemeinde schützt sich mit einem ausgeklügelten Sicherheitssystem, ist mit der realen Welt nur durch vier Brücken verbunden und begegnet allen Fremden nicht weniger misstrauisch als irgendein isolierter Eingeborenstamm vom Amazonas.
Die Reichen schätzen ihre Privatsphäre und reagieren äußerst empfindlich auf Grenzübertretungen. Sie meinen, Gott habe ihnen die Weisheit geschenkt, ihre eigenen Probleme auf ihre eigene Weise zu lösen. In Palm Beach ist nichts so abwegig und grässlich, als dass es nicht behoben oder zumindest toleriert werden könnte – solange es in der Familie bleibt.
Die Familie wohnt auf der Insel, aber nicht jeder auf der Insel gehört zur Familie. Dieser Unterschied ist
Weitere Kostenlose Bücher