Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
lange danach erging ich mich immer noch in düsteren Grübeleien über diesen Scheidungs fall, bemüht, einen höheren Sinn darin zu entdecken.
Ich leide unter dem fatalen Zwang, einen höheren Sinn in Dingen zu suchen, die überhaupt gar keinen Sinn haben. Wir haben von Hybris gesprochen, von wahnhafter Selbsttäuschung und von Heldenmut, der nur ins Unglück führen kann.
Oder vielleicht sprechen wir ja von Kokain. Dieser Gedanke drängte sich mir während des Scheidungsprozesses der Pulitzers mehr als einmal auf. Wer auf blitzschnellen Größenwahn aus ist, findet heutzutage kaum etwas Besseres als Kokain auf dem Markt, und das Angebot ist groß. Jeder Depp mit einem 100-Dollar-Schein zu viel in der Tasche kann sich ein Gramm Kokain in die Birne ziehen und anschließend Neunmalkluges zu so gut wie jedem Thema von sich geben.
Oh, ja. Wunderbar. Vielen Dank. Ich sehe jetzt alles ganz deutlich. Diese Mistkerle haben mich von Anfang an belogen. Ich hätte ihnen gar nicht erst trauen dürfen. Tretet beiseite. Lasst den großen Hund fressen. Glaubt mir, Leute. Ich weiß, wie das läuft.
Letztendlich war es nichts als ein Kokainprozess, und so hätte es auch von Anfang an sein müssen. Richtig Geld stand sowieso nicht auf dem Spiel: Pete Pulitzer gab für Anwälte, Buchhalter, angebliche Sachverständige und sonstige Prozesskasper insgesamt eine Summe aus, mit der sich Roxanne freudig zufriedengegeben hätte, ohne dass es zu einer Gerichtsverhandlung hätte kommen müssen. Einmal saßen ein paar Reporter, die über die Verhandlung berichteten, um einen grauen Resopaltisch in der Alibi Lounge und rechneten aus, dass die Verhandlung Pulitzer insgesamt etwa eineinhalb Millionen Dollar gekostet hatte und vielleicht noch eine Million zusätzlich für dies und das. Pulitzer war ein Mann, der fast 700000 Dollar im Jahr verdiente, nur weil er ein paar Stunden täglich telefonisch erreichbar war und eine Sekretärin bezahlte, die seine Post öffnete. Sie erhielt übrigens etwa 60000 Dollar im Monat nur dafür, seinen Laden in Schuss zu halten. Doch auf diesen Mann wurde plötzlich eine höllische öffentliche Hetzjagd veranstaltet, und ein Jahr lang befand sich das einzige Bett, in dem er schlafen konnte, auf seiner Jacht. Er verbrachte seine Zeit damit, für 150 Dollar die Stunde seine eigenen Anwälte anzuschreien, anstatt sich um sein Geschäft zu kümmern, das natürlich den Bach hinunterging. Alle Menschen, die für ihn arbeiteten, von den Buchhaltern und den Psychiatern bis hin zu den Gärtnern und Schiffsjungen, verloren langsam vor Furcht und Verwirrung und der endlosen Belästigung durch teuflische Anwälte den Verstand. Sie lebten in ständiger Angst davor, sich zu verplappern und deshalb entweder gefeuert oder wegen Meineids eingesperrt zu werden. Und doch ließ er einen seiner Schergen vor Gericht eine so sorglose, ungeheuerliche und arrogante Stellungnahme zu seiner finanziellen Situation vortragen, die überall in Amerika für einen Aufschrei der Empörung gesorgt hätte – außer in Palm Beach County natürlich. Es gibt nicht wenige Menschen in diesem Land, die über eine Million Dollar im Jahr ausgeben, und einige davon zahlen überhaupt keine Einkommensteuer. Nelson Rockefeller gehörte in den späten Sechzigern oder frühen Siebzigern zumindest ein Jahr lang in diese Gruppe, und in zwei weiteren Jahren in diesem Zeitraum zahlte er weniger Steuern als ich …
Epilog: Das Lied vom goldenen Schwein
Es überrascht den Poeten, wenn seine Geschichten der Wahrheit entsprechen.
– Isak Dinesen
Ich führe jetzt ein Palm-Beach-Leben und versuche, das richtige Gefühl dafür zu bekommen: Königspalmen und Rohseide, Spazierfahrten mit einem roten Chrysler Cabrio in der Morgendämmerung am Strand entlang, George Shearing im Autoradio und in der Birne gestrecktes Coke und neben mir auf dem Vordersitz zwei schöne Lesbierinnen, die einander auf Französisch Witze erzählen …
Wir sind auf dem Weg zu einer Orgie in einer Villa dicht am Meer, und die Girls trinken Champagner aus einer Magnumflasche, die wir aus dem berühmten Dunhills mitgebracht haben, dem angesagten Restaurant. Unter dem Wischerblatt vor mir flattert ein nasser Parkschein, und das nervt. Ich hab einen leichten Schwips, und die Mädels prosten mit ihren Champagnergläsern entgegenkommenden Polizeiwagen zu, lachen frech und rauchen starkes Gras aus einer schwarzen Pfeife, während wir bei Sonnenaufgang über den Ocean Boulevard rauschen, munter wie
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