Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
und einige davon stammen von meinen eigenen Beamten. Der Sheriff braucht Zeit, um sie zu verarbeiten, bevor er sich mit Presseleuten unterhalten kann.«
In der Tat. Sheriff Pitchess stand nicht allein da in seiner Unfähigkeit, den gequirlten Unsinn zu »verarbeiten«, den sein Büro auftischte. Die offizielle Erklärung über die Todesumstände von Salazar war so stümperhaft und unlogisch – sogar nach diversen Revisionen –, dass nicht einmal der Sheriff selbst überrascht schien, als sie schon in sich zusammenfiel, bevor noch die militanten Chicanos Gelegenheit gehabt hatten, sie zu attackieren. Was sie natürlich auf jeden Fall vorhatten. Der Sheriff hatte schon Wind bekommen, was ihm bevorstand: viele Augenzeugen, unter Eid geleistete Erklärungen, Berichte aus erster Hand – alle gegen die Polizei gerichtet und feindselig.
Die Geschichte der Chicano-Beschwerden gegen die Cops in L. A. ist keine besonders angenehme. »Die Cops ziehen nie den Kürzeren«, sagte mir Acosta, »und auch diesmal werden sie es nicht tun. Sie haben den einzigen Typen in der Gemeinde ermordet, den sie wirklich fürchteten, und ich garantiere dir, kein einziger Cop wird jemals dafür vor Gericht gestellt werden. Nicht mal wegen Totschlags.«
Ich nahm es ihm ab. Aber es war sogar für mich schwierig zu glauben, dass die Cops ihn absichtlich umgebracht hatten. Ich wusste zwar, dass sie dazu fähig waren, aber ich war noch nicht ganz bereit zu glauben, dass sie es auch tatsächlich getan hatten … denn wenn ich einmal zu der Überzeugung gekommen war, musste ich mich auch mit der Vorstellung anfreunden, dass sie bereit und in der Lage waren, jeden zu töten, der ihnen Schwie rigkeiten machte. Mich ebenfalls.
Was Acostas Mordanklage betraf, kannte ich ihn gut genug, um zu wissen, dass er imstande war, sie auch öffentlich zu vertreten – und ich kannte ihn auch gut genug, um zu wissen, dass er niemals versuchen würde, mir irgendeinen monströsen Scheißdreck aufzuquatschen. Und deswegen brachte mich unser Telefongespräch natürlich ziemlich durcheinander … und ich kam ins Brüten darüber, verfiel in meinen eigenen düsteren Argwohn, dass Oscar mir die Wahrheit gesagt hatte.
Auf dem Flug nach L. A. versuchte ich, mir aus meinen Notizen und Zeitungsausschnitten über den Tod von Salazar meine eigene Meinung zu bilden – dafür oder dagegen. Zu diesem Zeitpunkt lagen mindestens sechs verschiedene Aussagen von angeblich verlässlichen Zeugen vor, die unter Eid gemacht worden waren, drastisch voneinander abwichen und in mehreren entscheidenden Punkten auch anders waren als die offizielle Polizeiversion – der sowieso niemand Glauben schenkte. Die Stellungnahme des Sheriffs zu dem Vorfall hatte etwas überaus Beunruhigendes an sich – sie war nicht einmal eine gute Lüge .
Nur Stunden nachdem die Times mit der Nachricht herauskam, dass Ruben Salazar tatsächlich von den Cops getötet worden war – und nicht von Heckenschützen –, startete der Sheriff eine wütende Anklage gegen »bekannte Dissidenten«, die, wie er sagte, an jenem Wochenende nach East Los Angeles geströmt waren, um in der mexikanisch-amerikanischen Gemeinde verheerende Krawalle zu provozieren. Er lobte seine Polizeibeamten für die Geschicklichkeit und den Diensteifer, mit dem sie in dem bedrohten Gebiet innerhalb von zweieinhalb Stunden die Ordnung wiederhergestellt hatten »und so eine Katastrophe weitaus größeren Ausmaßes verhinderten«.
Mittlerweile häufte sich jedoch das Beweismaterial dafür, dass Ruben Salazar ermordet worden war – entweder vorsätzlich oder völlig grundlos. Die bis dahin für die Polizeidarstellung peinlichsten Aussagen kamen von Guillermo Restrepo, einem 28-jährigen Reporter und Nachrichtenkommentator von KMEX-TV, der an jenem Nachmittag die »Krawalle« zusammen mit Salazar beobachtete und mit ihm ins Silver Dollar Café gegangen war, »um mal auszutreten und schnell ein Bier zu kippen, bevor wir zurück zum Sender gingen, um die Geschichte in Form zu bringen«. Restrepos Zeugenaussagen waren allein schon glaubhaft genug, um die ursprüngliche Version der Polizei in einem ziemlich üblen Licht erscheinen zu lassen, aber als er zwei weitere Augenzeugen präsentierte, die exakt dieselbe Geschichte zu erzählen wussten, gab der Sheriff alle Hoffnung auf und schickte seine Drehbuchautoren in die Wüste.
Guillermo Restrepo ist in East Los Angeles allgemein bekannt – für jeden Chicano, der einen Fernsehapparat besitzt, eine
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