Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Polizisten eine friedliche Demonstration im Laguna Park auseinandertrieben, wo sich ungefähr 5000 Chicanos (Liberale/Studenten/Aktivisten) versammelt hatten, um dagegen zu protestieren, dass »Bürger von Aztlan« eingezogen wurden, um für die USA in Vietnam zu kämpfen. Die Polizei tauchte ohne Vorwarnung plötzlich im Laguna Park auf und »zerstreute die Menge« mit Tränengaswolken, denen eine Knüppelorgie à la Chicago folgte. Die Menge zerstreute sich ebenso panisch wie zornig und stachelte dadurch Hunderte junger Zuschauer an, die die wenigen Blocks bis zum Whittier Boulevard rannten und dort wahllos Schaufensterscheiben einschlugen und Läden zerstörten. Mehrere Gebäude wurden bis auf die Grundmauern niedergebrannt, und der Gesamtschaden betrug am Ende schätzungsweise eine Million Dollar. Drei Menschen kamen zu Tode, sechzig wurden verletzt – aber das entscheidende Ereignis der Demonstration am 29. August 1970 war der Tod von Ruben Salazar.
Und sechs Monate später, als das National Chicano Moratorium Committee eine neue Massendemonstration für angebracht hielt, wurde dazu aufgerufen, diese »im Geiste von Ruben Salazar« durchzuführen.
Darin liegt jedoch eine gewisse Ironie, denn Salazar war ganz und gar nicht militant. Er war professioneller Journalist und hatte zehn Jahre Erfahrung bei der neoliberalen Los Angeles Times hinter sich, für die er über die verschiedensten Themen schrieb. Er war ein im ganzen Land bekannter Reporter und hatte für seine Arbeit in Vietnam, in Mexico City oder in der Dominikanischen Republik Preise gewonnen. Ruben Salazar war ein Veteran unter den Kriegsberichterstattern, aber er hatte nie an der Front sein Blut vergossen. Er war gut, und er schien seine Arbeit zu mögen. Also muss es ihn ein wenig gelangweilt haben, als die Times ihn von den Kriegsschauplätzen zurückholte, um ihm eine Gehaltserhöhung und die wohlverdiente Ruhepause als »Lokalberichterstatter« zu bieten.
Er konzentrierte sich auf das riesige Barrio östlich des Rathauses. Und dies war ein Schauplatz, den er nie wirklich kennengelernt hatte, obwohl er mexikanisch-amerikanischer Abstammung war. Innerhalb kürzester Zeit fand er jedoch Zugang. Es dauerte nur wenige Monate, bis er seine Arbeit für die Times auf eine wöchentliche Kolumne reduziert hatte. Er wurde Nachrichtendirektor für die Fernsehstation KMEX-TV – die »mexikanisch-amerikanische Station«, welche er in kürzester Zeit zur kraftvoll aggressiven politischen Stimme der gesamten Chicano-Gemeinde machte. Seine Berichterstattung über die Aktivitäten der Polizei bereitete dem Sheriff’s Department von East Los Angeles so viel Unbehagen, dass man dort bald eine Art Privatkrieg gegen diesen Salazar zu führen begann, gegen diesen Spic , der sich offensichtlich weigerte, vernünftig zu sein. Wenn Salazar zum Bei spiel eine Routinestory über einen nichtsnutzigen Burschen namens Ramirez bearbeitete, der bei einer Schlägerei im Gefängnis ums Leben gekommen war, war es wahrscheinlich, dass er mit irgendwas anderem an die Öffentlichkeit trat – einschließlich einer Reihe rigoroser Nachrichtenkommentare, in denen er den starken Verdacht äußerte, das Opfer sei von denen zu Tode geprügelt worden, die es ins Gefängnis gesperrt hatten. Im Sommer 1970 war Ruben Salazar dreimal von den Cops verwarnt worden, »den Ton seiner Berichterstattung zu mäßigen«. Und dreimal hatte er ihnen gesagt, sie sollten sich zum Teufel scheren.
All dies wurde in der Chicano-Gemeinde erst bekannt, als man ihn ermordet hatte. Als er sich anschickte, über die Demonstration an jenem Augustnachmittag zu berichten, war er noch ein »mexikanisch-amerikanischer Journalist«. Als man seine Leiche aus dem Silver Dollar hinaustrug, war er schon ein absoluter Chicano-Märtyrer. Salazar hätte dies als Ironie des Schicksals belächelt, aber er hätte es wohl kaum besonders amüsant gefunden, wie die Bullen und die Politiker die Geschichte seines Todes aufbereiteten. Ebenso wenig wäre er aber darüber erfreut gewesen, dass fast augenblicklich nach seinem Tode sein Name zu einem Schlachtruf wurde, mit dem sich Tausende junger Chicanos anspornten, die schon immer dem unerklärten Krieg gegen die verhasste Gringo-Polizei den Vorzug vor zahllosen Protesten gegeben hatten.
Seine Zeitung, die L. A. Times , berichtete über den Tod ihres ehemaligen Auslandskorrespondenten auf der Titelseite der Montagsausgabe: »Mexiko-amerikanischer Reporter Ruben Salazar wurde von
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