Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
zwei Männer und eine Frau durch die Hintertür, und einem der Männer wurde von wartenden Deputies eine Pistole vom Kaliber 7.65 abgenommen. Man verhaftete ihn nicht, nahm ihn nicht mal in Gewahrsam, und zu diesem Zeitpunkt feuerte ein Deputy zwei weitere Tränengasprojektile durch die Vordertür.
Wiederum habe es keine Reaktion gegeben, und nach einer fünfzehnminütigen Wartepause sei einer der mutigeren Deputies zur Tür gerobbt und habe sie fachmännisch aufgebrochen – ohne sich Eintritt zu verschaffen, fügte Hamilton hinzu. Die einzige Person, die tatsächlich die Bar betrat, war nach Polizeiversion der Besitzer Pete Hernandez, der eine halbe Stunde nach der Schießerei auftauchte und bat, hineingehen zu dürfen, um sein Gewehr zu holen.
Warum nicht?, sagten die Cops, und so benutzte Hernandez die Hintertür und holte sich sein Gewehr aus dem hinteren Lager raum – ungefähr fünfzehn Meter entfernt von der Stelle, wo Ruben Salazars Leiche in einem Nebel aus übel riechendem Tränengas lag.
Während der nächsten beiden Stunden riegelten ungefähr zwei Dutzend Deputies die Straße vor der Eingangstür des Silver Dollar Café ab. Dadurch wurde naturgemäß eine Menge neugieri ger Chicanos angelockt, die nicht alle freundlich gesinnt waren – und ein 18-jähriges Mädchen wurde durch dieselbe Art Tränengas-Bazooka am Bein verletzt, mit der man Ruben Salazar ein Loch in den Kopf geblasen hatte.
Die Salazar-Untersuchung schleppte sich sechzehn Tage hin und erregte die Aufmerksamkeit weiter Kreise. Zudem wurde über sie von Anfang bis Ende live im Fernsehen berichtet. (In einer seltenen Demonstration nicht profitorientierter Einigkeit bildeten alle sieben lokalen Fernsehstationen eine Art Interessengemeinschaft und berichteten abwechselnd, sodass die jeweiligen Tagesereignisse abwechselnd auf den verschiedenen Kanälen zu betrachten waren.) Die Berichterstattung in der L. A. Times – von Paul Houston und Dave Smith – war so vollständig und oft so bestimmt von persönlicher Anteilnahme, dass die gesammelten Houston/Smith-Artikel sich wie ein bis in kleinste Einzelheiten ausgefeilter Tatsachenroman lesen. Einzeln gelesen sind die Artikel nicht mehr als guter Journalismus. Doch als Dokument, chronologisch geordnet, ist diese Artikelserie mehr als die Summe ihrer Teile. Das Hauptthema scheint sich eher widerstrebend herauszukristallisieren, als beide Reporter langsam zu dem naheliegenden Schluss kommen, dass der Sheriff zusammen mit seinen Deputies und all seinen offiziellen Verbündeten von Anfang an gelogen hatte. Dies wird an keiner Stelle ausdrücklich gesagt, aber die Beweise dafür sind überwältigend.
Die Untersuchung des Coroner ist kein Prozess. Ihr Zweck ist es, die Umstände zu bestimmen, die zum Tod einer Person geführt haben – nicht, wer diese Person getötet hat oder warum sie getötet worden ist. Wenn die Umstände darauf schließen lassen, dass manches nicht mit »rechten Dingen« zuging, geht die Sache an den Staatsanwalt. In Kalifornien kann die Jury des Coroner nur zwei Entscheidungen fällen: dass der Tod »ein Unfall« war, oder dass »die Hand eines anderen« beteiligt war. Im Sala zar-Fall brauchten der Sheriff und seine Verbündeten die »Unfall«- Entscheidung. Alles andere hätte den Fall offengelassen – nicht nur für eine Anklage wegen Mordes oder Totschlags gegen den Deputy Tom Wilson, der schließlich zugegeben hatte, die todbringende Waffe abgefeuert zu haben, sondern auch für eine drohende Millionenklage wegen Fahrlässigkeit gegen den Bezirk, angestrengt von Salazars Witwe.
Die Entscheidung hing schließlich davon ab, ob die Jury Wilsons Aussage Glauben schenken konnte, er habe in das Silver Dollar Café gefeuert und dabei gegen die Decke gezielt, um ein Tränengasprojektil so abprallen zu lassen, dass es im hinteren Bereich der Bar detonierte und so den bewaffneten Fremden dazu zwang, aus der Vordertür herauszukommen. Aber irgendwie war es Ruben Salazar gelungen, seinen Kopf in die Bahn des sorgfältig gezielten Projektils zu bringen. Wilson sagte, er habe sich nie erklären können, was da schiefgegangen sei.
Er konnte sich auch nicht vorstellen, wie es Paul Ruiz gelungen sei, jene Fotos »so zu bearbeiten«, dass sie den Anschein erweckten, als zielten er und mindestens ein weiterer Deputy direkt in das Silver Dollar, direkt auf Kopfhöhe etwa anwesender Leute. Das zu erklären war Ruiz ein Leichtes. Seine Zeugenaussage bei der Untersuchung unterschied sich
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