Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
einsteht. Ich halte ihn nicht nur für eine wandelnde, brabbelnde Beleidigung der unterstellten Intelligenz der Wählerschaft, sondern darüber hinaus für eine schmerzhafte Verhöhnung der These, dass Amerikaner in der Lage sind, aus der Geschichte zu lernen.
Aber wenn Hubert in Tampa vor einem Publikum spricht und hinterher 77 führende Geschäftsleute ihm jeweils 1000 Dollar für seine Kampagne spenden, werde ich diese Szene genauso schildern, wie sie sich abgespielt hat, auch wenn mich dies in tiefe Depressionen stürzt.
Wobei ich in diesem Zusammenhang zweifellos nach Hinweisen Ausschau halten und mich nach Aussagen umhören würde, die meine Vorurteile bestätigen. Wenn sich beispielsweise unter den besagten 77 Spendern Monokel- oder Gamaschenträger befinden, würde ich großen Wert darauf legen, dies zu erwähnen. Ich würde vermutlich einigen von ihnen auf den Parkplatz nachgehen und schauen, ob sie an den Stoßstangen ihrer Autos Aufkleber mit dem Slogan »America – Love it or Leave it« haben. Und wenn ja, dann würde ich dies unter allen Umständen erwähnen. Und wenn einer von ihnen einen Kolibri aus der Luft fangen und ihm den Kopf abbeißen würde, dann bestünde kaum ein Zweifel, dass ich auch das verwenden würde.
… aber selbst wenn ich die fiese Masche konsequent durchziehen würde und der eine oder andere Leser durch die Zusammenstellung der gesammelten Fakten zu der Überzeugung gelangt, dass Humphrey seinen Wahlkampf in Florida von einer Clique seniler Faschisten finanzieren lässt … nun ja … selbst dann würde ich vermutlich kaum Widerspruch von den vermeintlich »objektiven« Journalisten dieser Wahlkampftour ernten, denn sogar diejenigen, die mit meiner Interpretation der Ereignisse gar nicht einverstanden sind, würden sich kaum zu der Behauptung hinreißen lassen, ihre Sichtweise oder die von irgendjemand anderem sei die reine objektive Wahrheit.
Unter den derzeit aktiven Journalisten wird man kaum welche finden, die auf das Prinzip der Puren Objektivität pochen. Sie wissen es nämlich besser. Die Einzigen, die mit Feuereifer »objektive« Berichterstattung predigen, sind Herausgeber, Chefredakteure und andere minderbemittelte »Medienfachleute«, aus denen sich die Teilnehmerschaft von nationalen Journalismuskongressen zusammensetzt. Oder »Kommentatoren« im Halbruhestand wie [CBS Kommentator] Eric Sevareid, die von der verschwitzten Hinterzimmerrealität des Politikbetriebs so weit entfernt sind, als würden sie in einem keimfreien Krähennest sitzen wie der Papst im Vatikan oder meinetwegen Howard Hughes. Was nicht bedeuten muss, dass sie nicht manchmal auch richtig liegen. Selbst ein blindes Schwein findet ab und zu mal ein Korn. Aber es ist schon schwer zu verdauen, wenn man ein Jahrzehnt lang die Nachrichten von [NBC Anchorman] Chet Humley serviert bekommt und er einem dann plötzlich von der Mattscheibe entgegengrinst und Werbung für American Airlines macht.
Ich will aber nicht abstreiten, dass auch ich ab und zu bei Fakten danebenliege. Vor einem Monat habe ich geschrieben, dass ein als parteilos registrierter Wähler in Colorado sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten an den Vorwahlen teilnehmen kann – was letztes Jahr auch noch zutraf, nur wurde das Gesetz vor Kurzem geändert. Daraufhin habe ich einen wütenden Leserbrief erhalten und alles, was ich in diesem Zusammenhang tun kann, ist, mich zu entschuldigen. 1970 war ich noch über alle Paragrafen, Absätze und Präzedenzfälle, die irgendetwas mit dem Wahlrecht des Staates Colorado zu tun hatten, bestens informiert. (Wenn man sich als Kandidat der Freak-Power-Bewegung aufstellen lässt, tut man gut daran, sich als Erstes mit allen Gesetzen vertraut zu machen.) Doch als ich nach Washington umzog, um über den Präsidentschaftswahlkampf zu berichten, habe ich aufgehört, mich über solche Dinge auf dem Laufenden zu halten.
Die Gesetze das Wahlrecht betreffend wurden dieses Jahr überall im Land mit einem solchen Tempo geändert, dass in vielen Städten/Bezirken die Beamten und Wahlleiter, die von Amts wegen mit der Registrierung der neuen Wähler befasst sind, kaum noch wissen, wer wahlberechtigt ist und wer nicht. Nur weil irgendwer einem erzählt, man sei nicht wahlberechtigt, heißt das noch lange nicht, dass das auch tatsächlich zutrifft. Während der Freak-Power-Wahl in Aspen hat der Bezirkswahlleiter 88 von 450 neuen Wählern für nicht wahlberechtigt erklärt. Wir sind gegen diese
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