Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
selbstverständlich oder natürlich erachtet wird, auf den Straßen in der Stadt zu parken. Wenn man tatsächlich mal einen Platz an der Parkuhr findet, wagt man nicht, ihn zu benutzen, da man damit rechnen muss, dass jemand aufkreuzt und einem entweder das Auto klaut oder es in einen Schrotthaufen verwandelt, weil man versäumt hat, den Zündschlüssel stecken zu lassen.
Wie ich höre, ist es nicht ungewöhnlich, zu seinem abgestellten Wagen zurückzukehren und feststellen zu müssen, dass die Antenne abgebrochen ist, die Scheibenwischer verbogen ins Leere ragen und alle Scheiben zerschmettert wurden … einzig und allein, damit man auch wirklich rafft, wo’s heutzutage langgeht.
Ja, wo bloß?
»Das ist der reinste Dschungel!«
Nicholas von Hoffman, Kolumnist der Washington Post , hat kürzlich darauf hingewiesen, dass die Nixon/Mitchell-Regierung – ansonsten besessen davon, im ganzen Land Gesetz und Ordnung walten zu lassen, und das um beinahe jeden Preis – sich allem Anschein nach absolut nicht darum schert, dass Washington, D. C., zur »Metropole der Vergewaltigungen« geworden ist.
Eine der gefährlichsten Gegenden der Stadt ist das ehemals sehr gefragte Viertel Capitol Hill. Dieser Distrikt umschließt die Bürogebäude von Senat und Kongress und bietet sich daher als günstige Wohnlage für Tausende junger Verwaltungsangestellter, Berater und SekretärInnen an, die dort oben auf dem Olymp arbeiten. Die friedlichen, von Bäumen beschatteten Straßen des Capitol Hill wirken so ganz und gar nicht bedrohlich. Stadthäuser aus Backstein im Kolonialstil mit Kristallglastüren und hohen Fenstern, die Ausblick auf die Kongressbibliothek und das Washington Monument bieten … Als ich vor ungefähr einem Monat herkam, um ein Haus oder eine Wohnung zu suchen, hörte ich mich zuerst in der Stadt um und kam schließlich zum Ergebnis, dass Capitol Hill der passende Ort war, sich einzurichten.
»Großer Gott, Mann!«, sagte mein Freund von der liberalen New York Post . » Da kann man doch nicht wohnen. Das ist der reinste Dschungel!«
Die grauenerregende Verbrechensstatistik für »The District« ist sogar J. Edgar Hoover peinlich. Es heißt, dass die Vergewaltigungen im Vergleich zu 1970 um 80 Prozent zugenommen haben, und die jüngste Mordwelle (durchschnittlich ein Mordfall am Tag) hat die Moral der städtischen Polizeikräfte auf einen neuen Tiefpunkt sinken lassen. Von den 250 Mordfällen in diesem Jahr konnten nur 36 gelöst werden … und die Washington Post schreibt, dass die Cops am liebsten das Handtuch werfen würden.
Mittlerweile sind Einbruchsdiebstähle, Überfälle und Straßenraub dermaßen an der Tagesordnung, dass man sie nicht mehr für berichtenswert erachtet. Der Washington Evening Star , eine der drei städtischen Tageszeitungen, unterhält seine Büros im Südosten – nur ein paar Straßen vom Capitol entfernt – in einem fensterlosen Gebäude, das dem Tresorraum von Fort Knox ähnelt. Beim Star jemanden besuchen zu wollen ist beinahe so schwierig, wie ins Weiße Haus zu gelangen. Besucher werden von Sicherheitsbediensteten überprüft und müssen Formulare ausfüllen, die dann auch als »Besucherpässe« fungieren. So viele Reporter des Star sind ausgeraubt, vergewaltigt und bedroht worden, dass sie in schnellen Taxis kommen und gehen und reagieren wie Spießrutenläufer – völlig zu Recht zucken sie voller Furcht zusammen bei jedem unerwarteten Geräusch zwischen der Straße und der hell erleuchteten Sicherheit der bewachten Redaktionsräume.
Als Fremder kann man sich nur schwer an solche Vorsichtsmaßnahmen gewöhnen. In den letzten Jahren habe ich an einem Ort gewohnt, wo ich mir noch nicht einmal die Mühe machte, den Autoschlüssel abzuziehen, geschweige denn mein Haus abzuschließen. Schlösser besaßen eher Symbolcharakter, und wenn es wirklich ernst wurde, hatte ich immer noch die .44er-Magnum zur Hand. Aber in Washington gewinnt man den Eindruck – und bekommt es selbst von den »liberalsten« Insidern zu hören –, dass so gut wie jeder, dem man auf der Straße begegnet, mindestens eine .38 Special mit sich rumträgt. Wenn nicht gar Schlimmeres.
Aus einiger Entfernung könnte einem das alles ja scheißegal sein – aber man wird dann doch leicht nervös, wenn man erfährt, dass niemand, der noch ganz bei Trost ist, es wagen würde, allein vom Capitol Building zu seinem Auto auf dem Parkplatz zu gehen, aus Angst, schon bald darauf nackt und blutend zur nächsten
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