Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Wochen bekam ich einen Brief von jemand aus Chicago, der mich als »Krypto-Schwuchtel-Bulldoggen-Nazi-Hinterwäldler-Faschisten-Schwein« bezeichnet hat.
Bei Briefen wie diesem komme ich richtig ins Schwärmen, doch der Rest ist größtenteils nichts weiter als lahmarschiger Müll. Ich bin doch nicht die Kummerkastentante einer Frauenzeitschrift. Wer Probleme hat, sollte an David Felton schreiben, unseren Liebeskummer-Experten in der Redaktion in San Francisco. Er wird dafür bezahlt , sich mit Geisteskranken herumzuschlagen. Und er hat noch Spaß dabei.
Ich hingegen habe mich um Wichtigeres zu kümmern.
Nämlich Politik.
Menschliche Probleme sind da zweitrangig.
–30–
Brief von HST an JSW
17. Sept. 72
Lieber Jann:
Ich denke, wir sollten McGovern von jetzt an bis zur Wahl pro Ausgabe eine Seite kostenlos zur Verfügung stellen. So wie ich es sehe, ist seine Position derzeit ziemlich beschissen, aber ich denke, wir sollten ihm die Chance geben, es zu schaffen – vor allem wir vom Rolling Stone , weil er im Anschluss an Miami gerade von diversen unserer Autoren, einschließlich meiner selbst, ziemlich herbe Kritik hat einstecken müssen, und ich bin mittlerweile zu der Einsicht gelangt, dass wir damit eventuell schwer danebengelegen haben.
Warum geben wir ihm nicht einfach eine »Haus-Anzeige« in jeder Ausgabe von jetzt bis November ’72, mit der er anstellen kann, was er will: Spenden sammeln, Drogen verdammen, Muskie in den Himmel loben usw … was immer er möchte.
Wobei es sich erübrigt hinzuzufügen, dass wir uns das Recht ausbedingen, diese Anzeigen wann immer notwendig zu kommentieren … Jedenfalls werde ich das tun.
So weit, so gut. Ich habe keine Pläne, in der nächsten Zukunft nach Kalifornien zu kommen – außer wenn McGov hier tatsächlich, wie es gerüchteweise heißt, zusammen mit Humphrey auf Wahlkampftour gehen sollte. Wenn das passiert, mache ich mich sofort auf den Weg. Das wäre der blanke Horror, und ich wäre endgültig bedient.
Hunter
Brief von HSt an JSW
3. 12.
Jann/
– ich brauche auf jeden Fall eine ziemliche Ladung Speed, um das Wahlkampfbuch einwandfrei und rechtzeitig fertig zu bekommen – komm mir nicht mit Fragen, ob das eine gute Idee ist, treib einfach alles auf, was du kriegen kannst, und schick es mir so schnell wie möglich. Selbstverständlich mit beiliegender Rechnung.
H
Muss dieser Ausflug wirklich sein?
6. Januar 1972
Die Straße vor meiner Eingangstür ist übersät von Blättern. Mein Rasen fällt zum Gehsteig hin leicht ab. Das Gras ist noch grün, aber das Leben entweicht aus den Halmen. Rote Beeren verdorren am Baum neben meiner weißen Veranda. In der Einfahrt steht mein Volvo mit den blauen Ledersitzen und den Colorado-Nummernschildern direkt vor der Garage aus roten Ziegelsteinen. Und gleich neben dem Wagen ist frisches Feuerholz aufgeschichtet: Kiefer, Ulme und Kirsche. In letzter Zeit verheize ich eine gewaltige Menge Feuerholz … mehr noch als die Alsop-Brüder.
Wenn einer Schluss macht mit den Drogen, dann will er zumindest große Feuer lodern sehen in seinem Leben – die ganze Nacht lang, riesige Flammen im Kamin & dazu die Anlage voll aufgedreht. Ich habe zusätzliche Boxen für meinen McIntosh-Verstärker bestellt – und eine 50-Watt-Boombox an mein FM-Radio im Auto gehängt.
Bei so viel Power sind extrastarke Sicherheitsgurte ratsam, weil die Bassriffs dich sonst wie einen verdammten Pingpongball durchs Wageninnere hüpfen lassen … was sich böse auswirken kann im fließenden Verkehr, besonders auf den eleganten Boulevards der Hauptstadt unserer Nation.
Gelegentliche Stippvisiten im Osten erweisen sich auch deswegen als höchst nützlich, weil sie großes Verständnis für die »Westwärts«-Bewegung in der US-Geschichte hervorrufen. Nach ein paar Jahren an der Westküste oder auch in Colorado vergisst man leicht, weswegen man sich überhaupt auf den Weg nach Westen gemacht hat. Kaum lebt man eine Weile in L. A., flucht man bereits über die Staus auf den Freeways in der warmen pazifischen Abenddämmerung … und vergisst allzu schnell, dass man in New York noch nicht einmal parken kann, geschweige denn sich im Auto fortbewegen.
Auch in Washington, wo es verkehrstechnisch noch relativ locker und freizügig abgeht, kostet mich das Parken in der Innenstadt ungefähr anderthalb Dollar die Stunde … was schon fies genug ist, aber den richtigen Schock löst die jähe Einsicht aus, dass es längst nicht mehr als
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