Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
er bei den Profis als einer von vielen störrischen rechtsgerichteten Wasserköpfen, die sich in die Politik einmischten, weil sie nichts Besseres zu tun hatten. Umfragen gaben ihm einen komfortablen Vorsprung vor George Romney, aber die meisten oberschlauen Presseleute, die damals in Manchester herumhingen, hielten den Wettlauf zwischen Nixon und Romney nur für ein Aufwärmtraining, das in dem Moment vorüber war, wenn Rockefeller ins Rennen einstieg und beide japsend hinter sich ließ. Die Bar im Wayfarer Motor Inn war so was wie das inoffizielle Pressezentrum, wo die Journalisten nervös auf Rockefellers Verlautbarung warteten, die angeblich »jeden Moment« kommen sollte.
So war ich nicht völlig überwältigt von dem Angebot, eine Stunde allein mit Nixon zu verbringen. Schließlich war er ein geborener Verlierer, auch wenn er es irgendwie geschafft hatte, von den Republikanern nominiert zu werden. Ich nahm jedenfalls an, dass er nicht den leisesten Hauch einer Chance hatte, Lyndon Johnson zu schlagen.
Wie alle anderen in jenem Jahr muss ich mir den Vorwurf gefallen lassen, McCarthys Wahlkampf als zum Scheitern verurteilte Übung in hehrer Sinnlosigkeit abgetan zu haben. Wir hatten viel darüber geredet – nicht nur in der Wayfarer Bar, sondern auch an der Bar des Holiday Inn, in dem Nixon logierte, und die versammelte Presse war einhellig der Meinung, dass von den Republikanern nur Nelson Rockefeller eine Chance hatte, Johnson zu schlagen, und dass der einzige andere mögliche Gewinner Bobby Kennedy wäre, der bereits – öffentlich wie auch privat – deutlich gemacht hatte, dass er definitiv nicht vorhabe, 1968 für die Präsidentschaft zu kandidieren.
All das ging mir jetzt, vier Jahre später, durch den Kopf, als ich diesmal einen großen grünen Cougar über die US 93 prügelte, um abermals von einer dieser widersinnigen Vorwahlen in New Hampshire zu berichten. Das Wahlvolk in diesem Bundesstaat ist berüchtigt für sein perverses und unvorhersehbares Verhalten. 1964 zum Beispiel war es der Erdrutschsieg in den New-Hampshire-Vorwahlen, der die Henry-Cabot-Lodge-Dampfwalze mit Getöse an den Start brachte … und 1968 wachte Gene McCarthy am Morgen des Wahltags auf, um in den Zeitungen zu lesen, dass die letzten Umfragen ihm beinahe einstimmig nur zwischen sechs und acht Prozent der Stimmen voraussagten … und sogar einer wie er dürfte verdutzt reagiert haben, als er 24 Stunden später aufwachte und feststellte, dass er 42 Prozent bekommen hatte.
Seltsame Gegend & eine Anhalterin
Seltsame Gegend da oben: New Hampshire und Vermont scheinen die seelenverwandte Antwort des Ostens auf Colorado und New Mexico zu sein – einsame Berge, durchzogen von Landstraßen, an denen alte Häuser stehen, in denen Menschen aggressiv einsiedlerisch leben. Die Engstirnigkeit dieser Oldtimer, die ihre Ungestörtheit hegen und pflegen wie ihre grobschlächtigen rechtsradikalen Überzeugungen, entspricht auf eigenartige Weise der Engstirnigkeit der Newcomer, der jungen Aussteiger und ehemaligen linksgerichteten Aktivisten – Leute wie Andy Kopkind und Ray Mungo, Mitbegründer des Liberation News Service –, die sich seit dem Ende der Sechziger immer zahlreicher hier in die Berge zurückgezogen haben. Die Tramper, denen man an diesen schmalen und gewundenen Straßen begegnet, sehen genauso aus wie diejenigen, die rund um Boulder und Aspen oder Taos am Straßenrand stehen.
Die junge Frau, die heute Abend mit mir im Wagen sitzt, ist auf der Suche nach einem alten Freund, der aus Boston weggezogen ist und, wie sie sagt, jetzt in einem Hühnerstall in einer zwanglosen Kommune in der Nähe von Greenville, N. H., wohnt. Draußen ist es fast fünfzehn Grad unter null, und sie hat keine Decke, ganz zu schweigen von einem Schlafsack, aber das macht ihr nichts aus. »Es hört sich bestimmt verrückt an«, sagt sie, »aber wir schlafen noch nicht mal miteinander. Er ist nur ein guter Freund. Aber ich bin glücklich in seiner Gegenwart, weil er dafür sorgt, dass ich mich selbst mag.«
Großer Gott, dachte ich. Wir haben eine Generation von seelischen Krüppeln herangezogen. Sie ist zweiundzwanzig, hat an der Boston University ihr Examen in Journalismus gemacht, und jetzt – sechs Monate nach dem College – spricht sie in ihrer Vereinsamung und Verwirrung davon, dass sie sich unheimlich darauf freut, ein paar Nächte mit einem armen Wicht, der nicht mal ahnt, dass sie kommt, in einem bitterkalten Hühnerstall zu
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