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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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verbringen.
    Dass es wichtig ist, sich selbst zu mögen, ist eine Auffassung, die während des koptischen Anti-Ego-Wahns der Acid-Ära schwer verpönt war – aber damals hätte sich niemand vorstellen können, dass dieses Experiment einen derartigen Katzenjammer zur Folge hätte und eine ganze Subkultur verängstigter Analphabeten hervorbringen würde, die an nichts und niemanden mehr glauben.
    Die Kleine interessierte absolut nicht, warum ich nach Manchester zum Wahlkampf von McGovern fuhr. Sie hatte nicht die Absicht, überhaupt je an einer Wahl teilzunehmen, ob es nun um den Präsidenten ging oder sonst was.
    Sie versuchte, höflich zu sein, aber schon nach zwei, drei Minuten war deutlich zu merken, dass sie nicht die geringste Scheißahnung hatte, wovon ich redete, und auch kein Interesse. Es langweilte sie: nichts als ein weiterer schräger Vortrag in einer Welt voller Frust und Generve, die sich garantiert immer über einem zusammenbrauen, wenn man nicht schnell genug die Fliege macht.
    Ihr Exfreund zum Beispiel. Anfangs war er nur ewig bekifft, aber jetzt hatte er angefangen zu drücken und benahm sich ziemlich irre. Er rief zum Beispiel an und sagte, er sei auf dem Weg und käme vorbei, aber dann war drei Tage lang nichts von ihm zu hören, bis er plötzlich auftauchte, total ausgerastet, sie anschrie und völlig sinnloses Zeug brabbelte.
    Es war zu viel, sagte sie. Sie liebte ihn, ja, aber er schien völlig abzudriften. Wir hielten an einem Donut-Laden in Marlboro, und als ich sah, dass sie weinte, kam ich mir vor wie ein Unmensch, weil ich ein paar ziemlich heftige Kommentare zu »Junkies« und »Bekloppten« und »Doomfreaks« abgelassen hatte.
    Wenn man damit durchgekommen ist, sich zehn Jahre lang wie der Kaiser aller Rüpel aufzuführen, vergisst man ab und an, dass die Hälfte der Menschen, denen man begegnet, in derartiger Furcht und Ungewissheit in den Tag lebt, dass sie die Hälfte der Zeit schlicht und ergreifend an ihrer geistigen Gesundheit zweifelt.
    Solche Menschen müssen nicht unbedingt auf deprimierende Ausflüge in die Politik verschleppt werden. Dafür sind sie noch nicht reif. Das Boot, in dem sie sitzen, schaukelt so sehr, dass sie sich nichts als ruhige See wünschen, und das so lange, bis sie wieder geradeaus denken und dem nächsten Albtraum ausweichen können.
    Die junge Frau, die ich zum Hühnerstall bringen wollte, zählte zu diesen Menschen. Sie hatte schreckliche Angst vor fast allem, auch vor mir, und deswegen fühlte ich mich unbehaglich.
    Wir konnten die Kommune nicht finden. Die Wegbeschreibung war zu vage: »Immer geradeaus bis zum trüben gelben Licht, dann am großen Baum nach rechts … weiter bis zur Gabelung und dann langsam zu der Stelle, wo die Straße schimmert …«
    Nach zwei Stunden hatte ich fast den Verstand verloren. Wir waren das Netz von Nebenstraßen zwei- oder dreimal ohne Erfolg abgefahren … aber schließlich fanden wir unser Ziel, einen friedlich wirkenden Platz auf einem Hügel im kalten Wald. Sie ging ins Hauptgebäude, blieb eine Weile und verkündete mir, als sie wieder herauskam, alles sei in Ordnung.
    Ich zuckte mit den Achseln, aber war auch leicht betrübt, weil mir die allgemeine Stimmung verriet, dass eben nicht alles in Ord nung war. Ich überlegte, sie nach Manchester mitzunehmen, aber ich wusste, dass wir beide Scherereien bekommen würden … nachts um 3 Uhr 30 im Wayfarer einchecken, dann um sieben wieder raus, ein kurzes Frühstück und danach in den Pressebus, um den lieben langen Tag McGovern dabei zuzuschauen, wie er an Fabriktoren den Leuten die Hände schüttelt.
    Würde sie diesen Wahnsinn ertragen? Wahrscheinlich nicht. Und auch wenn sie es konnte, warum sollte sie? Eine Wahlkampagne ist ein sehr formalisiertes Ritual, bei dem Abwegiges nicht willkommen ist. Ich allein bin schon für genügend Ärger gut: Man würde es mir niemals durchgehen lassen, dass ich mit einer nervösen blonden Nymphe auftauchte, die Politik für ein Spiel hielt, das nur von alten Leuten gespielt wurde. Wie Bridge.
    Nein, das würde niemals hinhauen. Aber auf dem Weg nach Manchester – ich fuhr wüst wie ein Werwolf – kam ich plötzlich auf den Gedanken, vielleicht geistig doch nicht ganz so gesund zu sein, wie ich immer meinte. Wenn man es sich mal vor Augen führt, hat es doch was echt Gestörtes, wenn ein Mann im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte Hals über Kopf sein friedliches Heim in den Bergen von Colorado verlässt und wie ein Truthahnbussard

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