Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
gefasst. Ist nicht persönlich gemeint, verstehen Sie? Die armen Scheißer konnten ja nicht wissen, was sie taten, als sie einen promovierten Journalisten aus der Pressekabine rausgeschmissen haben.«
Er nickte bedeutsam und bestellte noch einen Scotch mit Soda. »Ist eine verdammte Schande«, murmelte er. »Aber was kann man schon erwarten? Wer sich zu den Schweinen in den Koben legt, muss damit rechnen, auch Schwein genannt zu werden.«
»Was? Haben Sie mich gerade Schwein genannt?«
»Ich doch nicht«, sagte er. »Aber die üble Nachrede grassiert eben auf dieser Welt.«
Wir verbrachten den Rest des Flugs damit, uns über Politik zu streiten. Er unterstützte Muskie, und wie er redete, bekam ich mehr und mehr das Gefühl, er sei der Meinung, früher oder später würden wir alle für Muskie sein. »Ed ist ein guter Mann«, sagte er. »Er ist ehrlich. Meinen Respekt hat er.« Dann tippte er mit steifem Zeigefinger zwei- oder dreimal auf die gepolsterte Armlehne zwischen uns. »Aber in erster Linie«, sagte er, »arbeite ich für ihn, weil wir außer ihm niemanden haben, der Nixon schlagen kann.« Er tippte wieder auf die Lehne. »Wenn Nixon wieder gewinnt, droht uns großes Unheil.« Er griff zu seinem Glas, sah, dass es leer war, und stellte es wieder ab. »Nixon muss geschlagen werden«, sagte er. »Allein darauf kommt es diesmal an. Unausdenkbar, welchen Schaden die Mistkerle anrichten, wenn sie noch mal für vier Jahre an die Macht kommen.«
Ich nickte. Ein vertrautes Argument, das ich selbst hier und da vorgebracht hatte, aber langsam deprimierte es mich auch. Wie viele von diesen gottverdammten Wahlen müssen wir noch als lahme, aber »leider notwendige« Aktionen zur Schadensbegrenzung abschreiben? Und wie oft müssen wir dieses niederschmetternde Schmierentheater noch über uns ergehen lassen, bis wir endlich mutig genug sind, nationale Wahlen abzuhalten, bei denen ich und noch mindestens 20 Millionen Leute, deren Meinung ich teile, die Chance haben, begeistert für etwas zu stimmen, statt immer wieder nur das geringere von zwei Übeln zu wählen?
Ich habe jetzt drei Präsidentschaftswahlen durchgestanden, aber es ist zwölf Jahre her, seit ich auf den Stimmzettel blicken und einen Namen lesen konnte, für den ich stimmen wollte . 1964 habe ich mich geweigert, überhaupt zu wählen, und 1968 verbrachte ich den halben Morgen im Bezirksgericht, um Briefwahlpapiere zu ergattern, damit ich – aus reiner Bosheit – für Dick Gregory stimmen konnte.
Da uns abermals einer dieser Showdowns bevorsteht, der nichts als Schwindel ist, steigt mir jetzt schon übler Frustgeruch in die Nase. Wie viele andere sehe ich ein, dass es vorrangig darum geht, Nixon aus dem Feld zu schlagen. Aber das war, wenn ich mich recht erinnere, auch schon 1960, vor zwölf Jahren, die Hauptsache, und ich kann nur sehen, dass es uns seither von schlecht zu schlechter bis zu beschissen ergangen ist, und die Zukunftsaussichten sind auch nicht besser.
Nicht einmal James Reston, der swingende Calvinist, behauptet, 1972 auch nur einen Lichtstrahl am Ende des Tunnels zu sehen. Restons erste große Maßnahme des Jahres beschäftigte sich hauptsächlich mit einem düsteren »Memo« des ehemaligen JFK-Strategen Fred Dutton, der inzwischen Anwalt in Washington ist.
Es gibt einen gewissen Hoffnungsschimmer in der Prognose von Reston und Dutton, aber noch nicht für die kommenden vier Jahre. Hier ihr fauliges Fazit: »Die Wahl 1972 wird wahrscheinlich anachronistisch werden, eine historische Kuriosität, die eher der Vergangenheit angehört als zu dem neuen Trend passt, der auf eine Zukunft mit drei oder vier Parteien hindeutet.«
Reston ignorierte oder übersah aus irgendeinem Grund, dass Gene McCarthy anscheinend genau die Ausprägung »einer unabhängigen dritten Kraft in der amerikanischen Politik« vorantreibt, die Reston wie Dutton als Zukunftskraft sehen.
Noch finsterer ist, wie leichthin Reston Ed Muskie abtut, den einzigen Mann, der – laut E. B. Williams – uns möglicherweise vier weitere Jahre Nixon ersparen könnte. Und als habe der arme Muskie nicht schon genügend schlimme Scheiße am Hacken, hat die höchst vernunftbegabte und feine alte liberale Dame, die Washington Post , Muskies offizielle »Neuanfang mit mir als Kandidat«-Fernsehansprache als »bedeutungsleeren Aufguss von altem Bockmist und schaler Klischees« bezeichnet, »die aus alten Reden von … ja … ihm höchstpersönlich, nämlich Richard Milhous Nixon,
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