Die Romanow-Prophezeiung
und die Frau her? Gibt es tatsächlich Romanows, die Jekaterinburg überlebten?«
»Ich schließe mich an«, erklärte Rasputin. »Ich möchte wissen, was hier los ist. Man sagte mir, die Frage des Zarennachfolgers sei unter Kontrolle. Es gäbe keine Probleme. Doch so wirkt die Sache derzeit ganz und gar nicht.«
Breschnew stellte sein Wodkaglas krachend auf einem kleinen Beistelltisch ab. »Seit Jahrzehnten gibt es Gerüchte, einige Angehörige der Zarenfamilie seien der Hinrichtung entgangen. Überall auf der Welt sind immer wieder Prinzessinnen und Zarewitschs aufgetaucht. 1920, nach dem Ende des Bürgerkriegs, wuchs in Lenin die Überzeugung, dass Mitglieder der Zarenfamilie überlebt hatten. Er brachte in Erfahrung, dass Felix Jussupow vermutlich mindestens einen Romanow hatte untertauchen lassen. Doch er fand keine hundertprozentigen Beweise und erlag seiner Krankheit, bevor er der Sache auf den Grund gehen konnte.«
Hayes war noch immer skeptisch. »Jussupow hat Rasputin ermordet. Dafür hassten ihn Nikolaus und Alexandra. Warum um alles in der Welt sollte er sich so für die Zarenfamilie einsetzen?«
Chruschtschow antwortete: »Jussupow war ein recht ungewöhnlicher Charakter. Er litt unter plötzlichen Eingebungen. Den Starez tötete er aus einem Impuls heraus, denn er war überzeugt, die Zarenfamilie dadurch den Klauen eines Teufels zu entreißen. Interessanterweise bestand seine Bestrafung nur in der Verbannung auf eines seiner Güter in Zentralrussland. Dies rettete ihm das Leben, denn während der Februar- und der Oktoberrevolution, die die meisten Romanows und viele andere Adlige das Leben kostete, war er außer Gefahr.«
Hayes interessierte sich für die russische Geschichte, und während eines langen Fluges war ihm das Schicksal der Zarenfamilie einmal eine spannende Lektüre gewesen. Er rief sich in Erinnerung, dass Großfürst Michael, Nikolaus’ jüngerer Bruder, sechs Tage vor Jekaterinburg erschossen worden war. Alexandras Schwester, Nikolaus’ Vetter Serge und vier weitere Großfürsten waren alle am Tag danach ermordet und in einen Bergwerksschacht im Ural geworfen worden. In den darauf folgenden Monaten waren noch weitere Mitglieder des Königshauses gewaltsam gestorben; um 1919 war von der Romanow-Familie fast niemand mehr am Leben. Nur ganz wenige ihrer Mitglieder konnten in den Westen entkommen.
Chruschtschow fuhr fort: »Rasputin sagte voraus, dass im Falle seiner Ermordung durch Bojaren Blut an den Händen der Missetäter kleben werde. Falls er aber durch einen kaiserlichen Verwandten umkäme, werde kein Mitglied der Zarenfamilie die nächsten zwei Jahre überleben, und sie würden von der Hand des russischen Volkes sterben. Und im August 1918 wurde die Zarenfamilie ausgelöscht.«
Das beeindruckte Hayes nicht weiter: »Wir haben keine Beweise, dass es diese Prophezeiung wirklich gab.«
Breschnew sah ihm direkt in die Augen: »Inzwischen schon. Der eigenhändig von Alexandra geschriebene Brief, den Ihr Mr. Lord fand, bestätigt, dass Rasputin der Zarin diese Prophezeiung zwei Monate vor seinem Tod machte, im Oktober 1916. Der große Gründer dieses Staates« – Breschnews Sarkasmus war unüberhörbar –, »unser geliebter Lenin, hielt die Angelegenheit offensichtlich für sehr ernst. Und Stalin war so beunruhigt, dass er alle diesbezüglichen Unterlagen wegschließen und jeden ermorden ließ, der irgendetwas wusste.«
Erst in diesem Moment wurde Hayes die enorme Bedeutung von Lords Fund klar.
Lenin sagte: »Die provisorische Regierung bot Jussupow im März 1917 nach der Abdankung Nikolaus’ und seines Bruders Michael den Thron an. Die Romanows waren am Ende. Daher dachte die Regierung, die Jussupows könnten nun die Zarenwürde übernehmen. Aufgrund des Mordes an Rasputin wurde ihm allgemein großer Respekt gezollt. Das Volk hielt ihn für seinen Retter. Doch er lehnte das Angebot ab. Nachdem die Sowjets die Macht vollständig in Händen hielten, floh Jussupow aus Russland.«
»Jussupow war in jedem Fall ein Patriot«, merkte Chruschtschow an. »Hitler bot ihm an, Russland nach der Eroberung durch Deutschland als Gouverneur zu regieren, doch er lehnte ab. Die Kommunisten boten ihm mehrmals eine Stelle als Museumskurator an, was er ebenfalls immer ablehnte. Er liebte Mütterchen Russland und verstand offensichtlich erst viel zu spät, dass die Ermordung Rasputins ein Fehler war. Unmöglich konnte die Auslöschung der Zarenfamilie in seiner Absicht gelegen haben. Vermutlich
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