Die Romanow-Prophezeiung
seien?«
»Schwer zu sagen. Lenin war ein sehr vielschichtiger Mensch. Es ist eindeutig klar, dass er den Befehl gab, die ganze Familie zu erschießen. Die Akten beweisen eindeutig, dass die Befehle aus Moskau kamen und von Lenin persönlich gutgeheißen wurden. Das Letzte, was er hätte brauchen können, wäre die Befreiung des Zaren durch die Weiße Armee gewesen. Die Weißen waren zwar keine Royalisten, aber dieser Akt hätte das Ende der Revolution bedeuten können.«
»Und was hat seine Anmerkung zu bedeuten, die Information über Felix Jussupow bestätige, dass die Berichte aus Jekaterinburg offensichtlich nicht der Wahrheit entsprächen?«
»Also das ist wirklich ein interessanter Punkt. Ich habe darüber nachgedacht, ebenso wie über Alexandras Bericht über Rasputins Vision. Das ist eindeutig eine neue Information, Mr. Lord. Ich halte mich für ziemlich belesen in der Geschichte des Zarentums, aber ich habe nie etwas gefunden, was Jussupow und die Zarenfamilie nach 1918 miteinander in Verbindung brächte.«
Lord füllte sein Wodkaglas nach. »Jussupow hat Rasputin ermordet. Viele meinen, er habe mit dieser Tat den Niedergang der Monarchie beschleunigt. Sowohl Nikolaus als auch Alexandra hassten Jussupow dafür.«
»Was die Sache nur noch geheimnisvoller macht. Warum hätte die Zarenfamilie etwas mit ihm zu tun haben wollen?«
»Wenn ich mich recht entsinne, standen die meisten Verwandten des Zaren hinter der Entscheidung, den Starez zu töten.«
»Schon wahr. Und das war vielleicht der größte Schaden, den Rasputin angerichtet hat. Er trieb einen Keil in die Familie der Romanows. Irgendwann standen Nikolaus und Alexandra allein gegen alle anderen.«
»Rasputin war schon ein Rätsel«, sinnierte Lord. »Ein sibirischer Bauer, der unmittelbaren Einfluss auf den Zaren von ganz Russland hatte. Ein Scharlatan mit kaiserlicher Macht.«
»Viele würden bestreiten, dass er ein Scharlatan war. Ein Großteil seiner Prophezeiungen hat sich bewahrheitet. Er sagte, der Zarewitsch werde nicht an seiner Bluterkrankheit sterben, und er hatte Recht. Er prophezeite, Zarin Alexandra werde eines Tages seinen Geburtsort in Sibirien sehen – und auch das traf zu, nämlich auf ihrem Weg als Gefangene nach Tobolsk. Des Weiteren sagte er voraus, dass die Zarenfamilie die nächsten zwei Jahre nicht überleben werde, falls er selbst von einem Mitglied der Zarenfamilie ermordet würde. Jussupow hat eine Nichte des Zaren geheiratet, im Dezember 1916 den Starez ermordet, neunzehn Monate danach wurden die Romanows abgeschlachtet. Keine schlechte Prophezeiung für einen Scharlatan.«
Lord war nicht sonderlich beeindruckt von heiligen Männern mit einem angeblichen Draht zum lieben Gott. Sein Vater hatte ebenfalls stets behauptet, ein solcher zu sein. Tausende waren zu seinen Versammlungen gekommen, um ihn das Wort Gottes predigen zu hören und mitzuerleben, wie er die Kranken heilte. Natürlich war all das vergessen, wenn Stunden später eine der Frauen aus dem Chor in sein Zimmer kam. Lord hatte viel über Rasputin gelesen und darüber, wie dieser Frauen auf dieselbe Weise verführt hatte.
Er schob die Gedanken an seinen Vater beiseite und wandte ein: »Es ist doch nie nachgewiesen worden, dass irgendjemand sich zu Rasputins Lebzeiten auch nur an eine seiner Prophezeiungen erinnerte. Das meiste, was man darüber weiß, kam später von seiner Tochter, die es wohl als ihre Lebensaufgabe ansah, das Image ihres Vaters aufzupolieren. Ich habe ihr Buch gelesen.«
»Das mag ja bisher zugetroffen haben; jetzt aber gilt das nicht mehr.«
»Wie meinen Sie das?«
»Alexandras Notiz zufolge soll er vorhergesagt haben, dass die Zarenfamilie innerhalb von zwei Jahren sterben werde. Das Blatt wurde von ihr selbst auf den 28. Oktober 1916 datiert. Das war zwei Monate vor dem Mord an Rasputin. Offensichtlich hat er ihr gegenüber etwas Entsprechendes geäußert. Eine Prophezeiung, erklärte sie. Und sie hat sie aufgeschrieben. Also haben Sie ein historisch bedeutsames Dokument in Ihrem Besitz, Mr. Lord.«
Lord hatte sich darüber noch keine Gedanken gemacht, aber der Professor hatte vollkommen Recht.
»Haben Sie die Absicht, nach St. Petersburg zu fahren?«, fragte Paschkow.
»Bislang hatte ich das nicht vor, aber jetzt werde ich es wohl tun.«
»Gute Entscheidung. Mit Hilfe Ihrer Papiere erhalten Sie Zutritt zu Teilen der Archive, die keiner von uns jemals hat einsehen dürfen. Vielleicht ist da ja noch mehr zu entdecken, zumal Sie
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