Die Romanow-Prophezeiung
kommen.«
»Machen Sie sich nichts vor. Diese Typen werden Sie die ganze Nacht über suchen. Nur hier sind Sie sicher.«
Sie stieß ihre Reisetasche auf den Boden, um Lord den zweiten Liegeplatz frei zu machen, und streckte sich auf ihrem Bett aus. Dann schaltete sie das Licht über ihrem Kopfkissen aus. »Legen Sie sich schlafen, Miles Lord. Hier sind Sie sicher. Die kommen nicht zurück.«
Er war zu müde, um mit ihr zu diskutieren, und außerdem hatte sie Recht. Also lockerte er seine Krawatte, zog sein Jackett aus, legte sich auf sein Bett und tat, was sie ihm geraten hatte.
Lord öffnete die Augen.
Noch immer hörte er unter sich das Rattern der Räder auf den Schienen. Er schaute auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr. Fünf Uhr zwanzig. Er hatte fast fünf Stunden geschlafen.
Ausgerechnet von seinem Vater hatte er geträumt. Von der Predigt vom Verlorenen Sohn, die er so oft gehört hatte. Grover Lord hatte immer gern Politik und Religion miteinander vermischt; Kommunisten und Atheisten waren seine Lieblingsfeinde gewesen und sein ältester Sohn das Paradebeispiel, das er den Gläubigen bei jeder Gelegenheit vor Augen hielt. So etwas kam bei Südstaatengemeinden immer gut an, und der Reverend hatte ein Talent dafür, erst Angst zu säen, um dann den Sammelteller herumgehen zu lassen und 80 Prozent in die eigene Tasche zu stecken, bevor er in die nächste Stadt weiterzog.
Seine Mutter hatte den Drecksack bis zum bitteren Ende verteidigt und sich schlicht geweigert zu glauben, was sie eigentlich hätte wissen müssen. Ihm, dem ältesten Sohn, war die Aufgabe zugefallen, den Leichnam seines Vaters aus einem Motel in Alabama abzuholen. Die Frau, mit der er die Nacht verbracht hatte, war ziemlich hysterisch geworden, als sie nackt neben dem Leichnam von Reverend Grover Lord aufgewacht war. Man hatte sie rasch weggebracht. Erst später hatte er herausgefunden, was er schon lange vermutet hatte – dass er zwei Halbbrüder hatte, die der gottesfürchtige Reverend schon seit Jahren aus dem Erlös seiner Kollekten finanzierte. Warum ihm die fünf Kinder zu Hause nicht genügt hatten, wussten wohl nur Gott und Grover Lord. Offensichtlich hatten seine Predigten gegen die Unzucht und die Sünden des Fleisches bei ihm selbst keine bleibenden Spuren hinterlassen.
Etwas unschlüssig sah er sich in dem verdunkelten Abteil um. Akilina Petrowa schlummerte sanft unter einer weißen Bettdecke. Ihre regelmäßigen Atemzüge waren beim monotonen Geratter des Zuges kaum zu hören. In eine üble Sache war er da hineingeraten, und obwohl in den nächsten Tagen geschichtsträchtige Ereignisse stattfinden würden, musste er schnellstmöglich Russland verlassen. Gott sei Dank hatte er seinen Reisepass dabei. Morgen würde er den ersten Flug nach Atlanta nehmen. Noch aber lag er hier in einem schwankenden Abteil im Dunkeln, und das regelmäßige Klack-Klack-Klack der Räder auf den Schienen trug seinen Teil dazu bei, ihn wieder in den Schlaf zu lullen.
15
Freitag, 15. Oktober
»Miles Lord.«
Als er die Augen öffnete, sah Akilina Petrowa aufmerksam zu ihm herunter.
»Wir sind bald in Moskau.«
»Wie spät ist es?«
»Kurz nach sieben.«
Er schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Akilina saß einen Meter entfernt auf dem Rand ihres Betts. Lords Mund fühlte sich an, als hätte er mit Klebstoff gegurgelt. Er hätte sich gerne rasiert und geduscht, doch dazu blieb keine Zeit. Außerdem musste er zu Taylor Hayes Kontakt aufnehmen, aber das würde nicht einfach sein. Ganz und gar nicht einfach. Und seine Gastgeberin schien das zu wissen.
»Diese Männer werden auf dem Bahnhof auf Sie warten.«
Er leckte sich den Belag von den Zähnen. »Das ist mir klar.«
»Es gibt einen Ausweg.«
»Und welchen?«
»Wenn wir in ein paar Minuten über den Gartenring fahren, muss der Zug stark abbremsen. Dahinter gilt eine Geschwindigkeitsbeschränkung. Als ich noch ein Kind war, sind wir immer auf- und abgesprungen, wenn der Petersburg-Express kam. Das war der schnellste Weg ins Zentrum und zurück.«
Auch wenn ihn die Vorstellung, von einem fahrenden Zug zu springen, nicht übermäßig begeisterte, hatte er auf ein Wiedersehen mit Hängelid und Cro-Magnon noch weniger Lust.
Der Zug wurde langsamer.
»Sehen Sie?«, sagte sie.
»Wissen Sie, wo wir uns befinden?«
Sie schaute aus dem Fenster. »Etwa zwanzig Kilometer vor dem Bahnhof. Ich würde vorschlagen, dass Sie jetzt schleunigst verschwinden.«
Er griff nach
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