Die Romanow-Prophezeiung
machte, und fragte sich, ob er wohl Englisch verstand, doch der Verkehrslärm, der von draußen hereindrang, machte das Gesagte ohnehin schwer verständlich.
»Sie sind hinter mir her, Taylor. Nicht hinter Bely oder sonst wem. Hinter mir.«
»Schon gut, beruhigen Sie sich.«
»Beruhigen? Dieser Leibwächter, den Sie mir vermittelt haben, steckt mit ihnen unter einer Decke.«
»Wie meinen Sie das?«
»Er hat nach mir gesucht, zusammen mit den beiden anderen.«
»Ich verstehe …«
»Nein, nichts verstehen Sie, Taylor. Solange Sie noch nie von russischen Gangstern gejagt worden sind, verstehen Sie gar nichts.«
»Miles, jetzt hören Sie mir mal zu. Mit Panik kommen Sie jetzt auch nicht weiter. Gehen Sie einfach zur nächsten Polizeidienststelle.«
»Kommt nicht in Frage. Ich traue keinem mehr in diesem Dreckloch. Dieses ganze verdammte Land ist doch von der Mafija bestochen. Sie müssen mir helfen, Taylor. Sie sind der Einzige, dem ich noch trauen kann.«
»Wozu sind Sie überhaupt nach St. Petersburg gefahren? Ich hatte Ihnen doch geraten, sich nicht zu viel in der Öffentlichkeit zu zeigen.«
Er erklärte, was Semjon Paschkow ihm erzählt hatte. »Und er hatte Recht. Ich habe tatsächlich etwas gefunden.«
»Und das könnte Baklanows Anspruch auf den Thron gefährden?«
»Schon möglich.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Lenin der Meinung war, einige Mitglieder der Zarenfamilie könnten das Massaker in Jekaterinburg überlebt haben?«
»Er hat sich auf jeden Fall sehr für das Thema interessiert. Es gibt mehr schriftliche Andeutungen in dieser Richtung, als man glauben möchte.«
»Verdammter Mist. Das hat uns gerade noch gefehlt.«
»Hören Sie, wahrscheinlich ist an der Sache gar nichts dran. Seit der Ermordung von Nikolaus II. sind schließlich fast hundert Jahre vergangen. Wenn es da jemanden gäbe, wäre er doch längst aufgetaucht.« Als er den Namen des Zaren erwähnte, schaute der Verkäufer zu ihm auf. Leiser sprach Lord weiter. »Aber das ist jetzt nicht meine größte Sorge. Erst mal will ich lebend hier rauskommen.«
»Wo sind die Papiere?«
»Die habe ich bei mir.«
»Okay. Gehen Sie zur nächsten U-Bahn-Station und fahren Sie zum Roten Platz. Lenin-Mausoleum.«
»Wieso nicht ins Hotel?«
»Könnte unter Beobachtung stehen. Wir bleiben lieber in der Öffentlichkeit. Das Mausoleum macht in Kürze auf. Auf dem ganzen Platz stehen bewaffnete Wachen. Da sind Sie sicher. Die können ja nicht alle von der Mafija bestochen sein.«
Lord wurde allmählich paranoid. Aber Hayes hatte Recht. Er sollte auf ihn hören.
»Warten Sie vor dem Mausoleum. Ich komme und bringe Hilfe. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja, aber beeilen Sie sich.«
16
8.30 Uhr
An einem Bahnhof im Norden der Stadt nahm Lord die Metro. In dem hoffnungslos überfüllten Zug stand er zwischen stinkenden Pendlern eingequetscht und hatte das Gefühl zu ersticken. An eine Eisenstange geklammert, spürte er das Rattern der Räder auf den Schienen. Zumindest kam ihm keiner der Fahrgäste irgendwie bedrohlich vor. Alle wirkten wachsam wie er selbst.
Am Historischen Museum stieg er aus, überquerte eine viel befahrene Straße und schritt durch das Auferstehungstor, hinter dem der Rote Platz lag. Er bestaunte das erst in jüngerer Zeit wieder aufgebaute Tor, dessen Original aus dem siebzehnten Jahrhundert mit seinen weißen Türmen und Bögen aus rotem Backstein Stalins Zerstörungswut zum Opfer gefallen war.
Immer wieder wunderte er sich, wie kompakt der Rote Platz doch war. In den Fernsehübertragungen der Kommunisten hatte die gepflasterte Fläche immer endlos gewirkt, obwohl sie in Wirklichkeit nicht viel länger war als ein Fußballfeld und nicht einmal halb so breit. Die imposanten roten Backsteinmauern des Kreml erhoben sich auf der Südwestseite. Nordöstlich vom Kreml stand das Kaufhaus GUM – ein wuchtiger Barockbau, der eher an einen Bahnhof aus dem 19. Jahrhundert erinnerte denn an eine Bastion des Kapitalismus. Die Nordwestseite des Platzes wurde vom Historischen Museum mit seinem weißen Ziegeldach beherrscht. Ein doppelköpfiger Romanow-Adler zierte nun das Dach des Gebäudes, nachdem der Rote Stern mit dem kommunistischen Regime verschwunden war. Im Südosten stand die Basiliuskathedrale mit ihren bunten Zwiebeltürmchen. Mit ihrer Farbenpracht, die, von Flutlichtern angestrahlt, in der Dunkelheit der Moskauer Nächte eindrucksvoll zur Geltung kam, war sie das bekannteste Wahrzeichen Moskaus.
Eiserne
Weitere Kostenlose Bücher