Die Romantherapie: 253 Bücher für ein besseres Leben (German Edition)
Wajsbrot
Machen wir uns nichts vor: Der Verrat, zumindest der kleine Verrat, pflastert unseren Weg. Scheinbar beiläufig beantworten wir unserem Chef seine Suggestiv-Frage über die Arbeitszeiten des Kollegen, mit Mutter lästern wir über die schlechte Work-Life-Balance unseres Bruders, nach ein paar Bier ziehen wir über die neue Freundin des alten Kumpels her … all das tun wir täglich und denken uns nichts dabei. Müssen wir auch nicht mehr, wenn wir erst mal Cécile Wajsbrots Der Verrat gelesen haben.
Cécile Wajsbrot ist die Tochter polnischer Juden, die den Holocaust überlebt haben. Der Verrat ist ihr persönlichstes Buch. Es erzählt die Geschichte von Louis Mérian, der am Ende seines Lebens von einem Verrat eingeholt wird, den er als junger Mann begangen hat, als er sich weigerte, seine Geliebte Sarah vor den Nationalsozialisten zu schützen. Jahrzehntelang hat er diese Erinnerung erfolgreich verdrängt, er hat sein Leben gelebt, ist eine Radiolegende geworden. Aber dann fragt ihn eine junge Redakteurin eines Tages: »Was haben Sie während des Krieges gemacht?« – und sein Verrat holt ihn ein. Wajsbrot erzählt, wie die Erinnerung über die Verdrängung siegt, wie die Schuld auch nach Jahrzehnten noch ein Leben vernichtet, und findet dafür Worte, die klug und lakonisch, präzise und zurückhaltend sind.
Angesichts dieses großen Verrats werden Ihnen Ihre kleinen Lästereien läppisch erscheinen; vor dem großen, lebensvernichtenden Verrat aber werden Sie sich hüten.
Versager; sich wie einer fühlen
Mr. Polly steigt aus
H. G. Wells
Sie halten sich für einen Versager. Vielleicht ist Ihre Vergangenheit ein Trümmerfeld abgebrochener Projekte. Vielleicht haben Sie das Gefühl, dass alles, was Sie anfassen, in Ihren Händen zu Asche wird statt zu Gold. Ihre negativen Prophezeiungen erfüllen sich zuverlässig – obwohl Ihre Versa 388 gensangst nicht selten verhindert, dass Sie es überhaupt erst versuchen. Ihre Haltung ist gebückt. Sie sind die fleischgewordene Erfolglosigkeit. Falls Sie sich in diesem Bild wiedererkennen, dann wird es Zeit, H. G. Wells' charmanteste Figur, den erfolglosen Mr. Polly, kennenzulernen.
Als wir ihm zum ersten Mal begegnen, sitzt Mr. Polly auf einem Gatter in der Nähe seines Hauses im fiktiven Örtchen Fishbourne in Kent und klagt darüber, dass er in diesem »Kaff« festsitzt – »Oh, elender, blöder Witz von einem Kaff!«.
Mr. Polly, der dazu neigt, Worte zu verwechseln, was unter anderem seinen Charme ausmacht, leidet unter chronischen Verdauungsproblemen, die wohl ebenso sehr in seinem negativen Selbstbild als in seinen recht eigenwilligen Essgewohnheiten begründet liegen. Im Laufe der fünfzehn Jahre, in denen er der »entgeisterten Kommerzialität« erliegt – er führt einen Stoffladen –, ist er dick, glatzköpfig und vierzig geworden. Als er erkennt, dass er sein bisheriges Leben »in der Gesellschaft apathischer, ihm gegenüber eher feindlicher und kritisch eingestellter Menschen« verbracht hat – seine eigene Frau eingeschlossen –, »umgeben von kleinen häßlichen Dingen« und dazu noch »in beengten Verhältnissen«, ist er so verzweifelt, dass er eine Lebensversicherung abschließt, um sicherzustellen, dass seine Frau über die Runden kommt, und sich dann das Leben zu nehmen ( ▶ Midlife-Crisis).
Glücklicherweise geht sein Selbstmordversuch gründlich schief, woraufhin er sich – nein, nicht wie ein Versager fühlt (auch wenn es Ihnen vielleicht so gehen würde), sondern lebendiger als jemals zuvor. Als ihm klar wird, dass Fishbourne schließlich nicht »die Welt« ist, macht er sich auf den Weg Richtung Meer. Er läuft acht oder neun Stunden am Tag, schläft in Gasthäusern und hin und wieder in einem vom Mond beschienenen Feld und erreicht so schließlich das Gasthaus in Potwell. An einer Flussbiegung gelegen, unter großen Bäumen und umgeben von Herbstrosen, mit Tischen und Bänken vor dem Haus und einer Wiese voller Dotterblumen dahinter, erscheint ihm das Gasthaus als Ab 389 bild der Perfektion. Und erst recht, als er die dralle Gastwirtin sieht, so herrlich straff und gesund und rosig, dass sie »voll unendlichem Vertrauen und voll unendlicher Freundlichkeit« zu sein scheint. Die beiden erkennen sofort, dass sie zusammengehören, und so findet Mr. Polly schließlich sein Königreich – oder hätte es gefunden, wenn da nicht noch eine Kleinigkeit wäre …
Finden Sie selbst heraus, ob es Mr. Polly gelingt, sich von einer
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