Die Romantherapie: 253 Bücher für ein besseres Leben (German Edition)
wehren oder gar flüchten muss? Oftmals hadern Naivität und Optimismus miteinander.
Candide ist dafür ein Paradebeispiel. Von seinem Lehrer Pangloss in einer paradiesähnlichen Idylle großgezogen, wurde ihm beigebracht, dass »in dieser besten aller Welten« immer alles zum Besten bestellt ist. Der erste Eindruck von der Welt hinter den Mauern seiner Kindheit versetzt ihm folglich einen kleinen Schock. Als illegitimer Neffe eines Barons verliebt er sich heftig in Cunégonde, die Tochter des 259 Barons. Aber der Baron hat andere Pläne mit Cunégonde, und als er die beiden beim Knutschen erwischt, verbannt er Candide, dessen Zukunftsaussichten wenig rosig sind, aus dem Schloss. Das ist schon schlimm genug, aber es kommt noch schlimmer.
Zwangsweise von der bulgarischen Armee eingezogen, wird Candide Zeuge einer furchtbaren Schlacht. Als er anschließend vom Heerlager aus einen Spaziergang macht, peitscht man ihn brutal als Deserteur aus. Auch danach folgt eine Prüfung auf die nächste, aber der junge Mann hält resolut an seiner optimistischen Einstellung fest. Erst gegen Ende beginnt er zu wanken – nachdem ihm sein Vermögen geraubt wurde und er mit einer deutlich gealterten Cunégonde zusammenlebt, nachdem sein geliebter Pangloss gehängt, zerteilt und zu Brei geschlagen wurde (aber auch hier ist das Ende der Geschichte noch nicht erreicht) und nachdem Cunégonde laut die Frage stellt, ob es nicht fast besser wäre, von einer Horde Bulgaren mehrfach vergewaltigt zu werden, als weiter das zu tun, was sie tut, nämlich nichts. Auch Sie werden sicherlich gleichermaßen töricht wie freundlich grinsen, während es solcherlei Katastrophen hagelt.
Wenn sich Ihr Optimismus noch schwerer brechen lassen sollte als der von Candide, schaffen Sie es unter Garantie, ihn mittels Alles, was wir geben mussten von Kazuo Ishiguro aus seiner Verankerung zu reißen. Kathy, Tommy und Ruth wachsen in dem geheimnisumwitterten Hailsham House auf, wo sie dazu angehalten werden, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen, künstlerisch tätig zu sein und Beziehungen aufzubauen. Aber gleichzeitig wirken sie merkwürdig unterdrückt und abgeschnitten von der Welt. Mehr verraten wir nicht. Es genügt zu sagen: Wir gehen derart fest vom Erfolg dieser Therapie aus, dass wir unseren rechten Arm geben würden, wenn Sie am Ende immer noch an die beste aller möglichen Welten glauben. Für den Fall, dass Sie zu stark ins gegenläufige Fahrwasser geraten, schlagen Sie unter ▶ Pessimismus nach, um Ihre Mitte wiederzufinden. 260
Organisiert sein, übermässig
On the Road
Jack Kerouac
Es ist ein unschöner Nebeneffekt eines umtriebigen Lebens, dass man ein Meister darin wird, seine Tage ausschließlich in Halbstunden-Abschnitte zu zerstückeln, denen eine ganz bestimmte Nutzung zugewiesen wird – arbeiten, schlafen, Sport, essen, Lebensmittel einkaufen, shoppen, Freunde treffen –, wobei man vergisst, auch den Facetten des Lebens ein Bröckchen Zeit zuzuteilen, die man nicht unter ein bestimmtes Schlagwort subsumieren kann. Was ist zum Beispiel mit: einfach nur rumsitzen? Oder: völlig planlos in eine völlig willkürliche Richtung losfahren? Was ist mit: auf der Straße zufällig jemandem über den Weg laufen? Sollten Sie auf dem Sterbebett nicht erkennen wollen, dass Sie zwar alles auf Ihrer Liste abgehakt haben, aber eigentlich nie aus der Tür getreten sind und das Leben nie auf sich haben zukommen lassen, verbringen Sie bitte etwas unverplante Zeit in Gesellschaft von Sal Paradise, der »großen liebenden Seele« von Dean Moriarty und On the Road , Jack Kerouacs Hymne auf eine Generation, die noch wusste, wie man seine Zeit vertändelt.
Niemand in On the Road fasst jemals mehr als einen nur sehr vagen Plan. Und wenn sie sich auf den Weg machen, tun sie das schnell, sie springen auf den Bus oder die offene Ladefläche eines Lastwagens, wenn sie den »neuen Ruf« hören, eine »Ode aus der Prärie«, der immer prinzipiell aus westlicher Richtung kommt. Viel haben sie nicht bei sich – nur ein paar Sachen in einem Leinensack, ihren bloßen, speedinduzierten Tatendrang und die Liebe zu den unendlichen Möglichkeiten des Lebens. Denn Sal, Dean und Deans neue, hübsche Freundin Marylou schwimmen auf einer Welle der Freude, die sie voll unbekümmerter Begeisterung quer durchs Land spült, während sie zum Beat des Bebop improvisieren und die ganze Zeit über quatschen und johlen. Sie sind Menschen, denen alles gefällt, die in das »ganze
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