Die Rose der Highlands
sich endlich hatte bemerkbar machen
wollen, hatte sie die Stimmen an der Haustür gehört. Sie war vor Schreck,
Keiths Stimme zu hören, mit einem Satz hinter den Busch gesprungen. Wenn es
nicht alles so entsetzlich traurig wäre, sie hätte über Lilis Vorschlag, er
solle ihr das Geld aus seiner eigenen Tasche zurückzahlen, lachen müssen. Sie
konnte leider sein Gesicht nicht erkennen, weil er mit dem Rücken zu ihr stand,
aber sie stellte es sich lebhaft vor.
Sie hatte sich mit einem Mal Lili in einer Art verbunden gefühlt,
wie sie es seit der Neujahrsnacht nicht mehr zugelassen hatte. Es erfüllte sie
mit Stolz, was für eine tapfere Kämpferin ihre Stiefmutter doch war. Und zum
ersten Mal seit der furchtbaren Geschichte galt ihr ganzer Zorn diesem Mann und
nicht Rose.
Wie oft hatte sie sich vorgestellt, was sie ihm an den Kopf werfen
würde, wenn sie ihn je wiedersah. Doch nun hatte sie sich einfach hinter dem
Busch versteckt und war schadenfroh, weil Lili ihn offensichtlich verärgert
hatte. Bis zu dem Augenblick, wo sie den unversöhnlichen Hass in seinem Blick
gelesen hatte. Er hatte dabei direkt zu ihrem Busch hinübergesehen. Sie hatte
schon befürchtet, er habe sie entdeckt, aber dann hätte er nicht derart
hemmungslos seine Maske fallengelassen. Es kam Isobel so vor, als verberge er
dahinter ein zweites Gesicht. Es war grausam anzusehen, wie sein Kiefer mahlte
und seine Augen beinahe aus den Höhlen traten.
Er war schon lange in seinem Wagen davongebraust, als Isobel sich
endlich traute, aus ihrem Versteck zu kommen. Wo vorher ein Wirrwarr an
Gefühlen ihm gegenüber geherrscht hatte, dominierte nur noch eines: Angst. Ja,
sie hatte Angst vor dem Hass, der aus seinen Augen gesprochen hatte.
Sie bebte am ganzen Körper und strich sich ein paarmal über den
Bauch. Hatte sie auf dem Weg hierher noch Zweifel daran gehegt, ob es richtig
wäre, ihr Geheimnis nur mit dem einen Menschen zu teilen, war sie sich dessen
jetzt ganz sicher.
Mit weichen Knien ging sie auf die Haustür zu und klopfte. Fiona
öffnete ihr. Die Wiedersehensfreude war auf beiden Seiten gleichermaÃen groÃ.
»Sie sehen blendend aus, Isobel«, rief die Köchin begeistert aus.
»Sie sind nicht mehr so mager. Das steht Ihnen ausgezeichnet.«
Ein Schatten huschte über Isobels Gesicht, doch dann lachte sie
wieder. »Und Sie sehen gesund aus wie immer.«
»Sprechen Sie es nur aus. Ich bin noch dicker geworden.«
Von dem Juchzen angelockt, trat Lili hinzu. Sie gab ihrer
Stieftochter einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Mehr traute sie sich nicht.
Umso überraschter war sie, als Isobel sie in den Arm nahm und fest drückte.
Lili ging das Herz auf. Wie sehr hatte sie sich das gewünscht.
»Fiona, schicken Sie Bonnie mit dem Shortbread und dem Tee«, sagte
Lili, als sie wieder Luft bekam.
»Shortbread? Das ist ja traumhaft«, entgegnete Isobel.
»Ich eile«, rief die Köchin und verschwand.
»Lass dich mal ansehen. Du siehst gut aus. Das steht dir«, sagte
Lili begeistert, doch dann stutzte sie. Im Blick ihrer Stieftochter lag etwas, das
sie schwer deuten konnte. Aus den Augenwinkeln fixierte sie noch einmal Isobels
Rundungen und es fiel ihr wie Schuppen von den Augen.
»Du ⦠du bist doch nicht etwa â¦Â«, stammelte sie.
»Ich wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, aber das ist
der Grund, warum ich dich heute aufsuche.«
Lili schluckte ein paarmal trocken. »Dann komm doch erst einmal ins
Wohnzimmer«, presste sie schlieÃlich heiser hervor.
Isobel folgte ihr. Als sie sich auf das Sofa vor dem Kamin fallen
lieÃ, war es nicht mehr zu übersehen. Lili wunderte sich nachträglich, dass sie
nicht längst einen Verdacht geschöpft hatte, aber Isobel hatte, wenn sie sich
recht entsann, in letzter Zeit oft weite bequeme Kleider getragen.
»Wie lange weiÃt du es?«
Isobel kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum, bevor sie zögernd
antwortete. »Ich habe es erst einmal verdrängt, weil ich es nicht wahrhaben
wollte. Und dann habe ich mir das Hirn zermartert, ob ich eine Engelmacherin
aufsuchen sollte. Ich weià von einer Hebamme in Inverness, bei der noch keine
Frau auf dem Tisch verblutet ist. Ich stand sogar schon vor ihrer Tür, und in
dem Augenblick kam ein kleines Mädchen mit seiner Mutter an dem Haus vorbei.
Sie hatte blonde Locken und ein Puppengesicht wie
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