Die Rose der Highlands
erwiderte Isobel lächelnd. »Glaubst du,
ich habe Lust, mein Kind allein aufzuziehen? Dazu brauche ich eine Granny und
eine Tante.«
»Granny? Untersteh dich, mich jemals so zu nennen«, entgegnete Lili
mit gespielter Empörung. Tante Lili, wenn ich bitten darf.«
Als Bonnie mit dem Tablett eintrat, blieb sie wie angewurzelt
stehen. Diese innige Umarmung zwischen Lili und Isobel wollte sie nicht mit
Shortbread und Tee stören. Sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Nun müsste
nur noch Rose zurückkehren, und dann wäre alles gut, dachte das Hausmädchen und
kämpfte tapfer gegen die Tränen an. Ihr Blick blieb an Isobels Bauch hängen und
die Erkenntnis durchfuhr sie wie ein Blitz: Miss Isobel war in anderen Umständen.
Das musste sie sofort Fiona berichten. Leise zog sie sich zurück und drückte
der verdutzten Köchin das volle Tablett mit den Worten: »Das müssen Sie mit
eigenen Augen gesehen haben, Fiona!«, in die Hand.
44
R ose war schweiÃnass,
als sie aufwachte. Wie immer, wenn sie kurz die Augen aufschlug, war sie nicht
allein. Mal stand eine kopflose Frau vor ihrem Bett, riss sie unsanft an den
Armen aus der warmen Höhle und schleppte sie in ein kaltes Gemäuer und dann
wieder zurück. Meistens flöÃte die Kopflose ihr danach einen Trank ein, bevor
sie wieder wegdämmerte.
Schlimmer als die Kopflose aber war der Geist von Penkeat, John
Cockburn â sie wusste, dass er es war, denn sie war einmal mit der Klasse in
dem Schloss gewesen und da hatte sein Bildnis an der Wand gehangen â, der sich
immer ganz dicht über ihr Gesicht beugte und ihr mit fauligem Atem
entgegenhauchte, dass er sie umbringen würde. Dann legte er zur Bekräftigung
seiner Drohung die Hände um ihren Hals und drückte zu, doch immer, wenn er das
tat, löste er sich plötzlich in Nichts auf.
Nun standen sie alle beide vor ihrem Bett. »Ich bringe dich um«,
schnaubte der Geist »Du sollst in der Hölle schmoren!«
Rose wollte sich aufrichten, ihre Stimme erheben und sie verjagen,
weil sie sie beim Schlafen störten. Aber sie war so schwach, dass sie nach dem
ersten Versuch stöhnend und ächzend aufgab.
»Du musst dich wehren. Töte ihn!«, raunte ihr das kopflose Wesen ins
Ohr und steckte ihr ein Messer zu. Rose aber war viel zu schwach, die Waffe in
ihrer Hand zu halten. Doch die Kopflose umklammerte ihre Hand, sodass Rose die
Waffe nicht entglitt. Und ehe sie es sich versah, hatte die kopflose Frau das
Messer auf den Arm des Geistes gerichtet und zugestoÃen.
»Sie will mich töten«, schrie der Verletzte. »Sie will mich töÂten.«
Rose konnte zusehen, wie das rubinrote Blut auf ihre weiÃe Decke tropfte. Das
Gesicht des Geisterwesens war schmerzverzerrt.
Die Kopflose hielt immer noch Roses Hand umklammert. Die Spitze des
Messers steckte im Arm des Mannes, doch nun zog die Frau es mit einem Ruck
heraus. Der Geist schrie laut auf. Ganz sanft lieà die Kopflose Roses Hand mit
der Waffe darin auf die Decke gleiten und löste ihre Umklammerung.
»Du musst es festhalten«, flüsterte sie beschwörend. »Dann kann er
dir nichts antun.«
Rose aber hörte die Stimme nur noch wie unter Wasser, während ihr
die Augen zufielen.
Sie wachte von einem merkwürdigen Stimmengemurmel auf. Sie hatte
Angst, die Augen zu öffnen, weil sie befürchtete, das Zimmer sei voller
unheimlicher Wesen. Doch als sie kurz blinzelte, standen weder die Kopflose
noch der Geist von Penkeat an ihrem Bett, dafür blickte ein fremder Mann
besorgt auf sie hinunter. Da fiel es ihr wieder ein, dass die Kopflose auf den Geist
eingestochen hatte. Sie wollte es dem Fremden sagen, denn er sah freundlich
aus, doch ihrer Kehle entrang sich nicht mehr als ein Grunzen.
»Guten Tag, Lady Rose«, sagte er sanft. »Ich bin Doktor Scott. Wie
geht es Ihnen?«
»Durst«, stieà Rose kaum verständlich hervor.
Der Fremde griff zu der Karaffe auf dem Nachttisch und goss ihr ein
Glas des klaren Wassers ein. Von einer Sekunde zur anderen hatte sich sein
freundliches Gesicht in eine dämonische Fratze verwandelt. Rose wollte
schreien, aber sie brachte nur ein einziges Wort hervor.
»Gift!« Zur Bekräftigung wollte sie um sich schlagen, doch ihre
Hände waren vor ihr auf der Bettdecke zusammengebunden. In Panik riss sie die
Augen weit auf.
»Ich glaube, die Fesseln kann ich lösen«,
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