Die Rose der Highlands
Lord Fraser, der offenbar Gast des Hotels ist.«
»Und das wollen Sie jetzt mit eigenen Augen überprüfen?«
»Ich mache mir entsetzliche Sorgen, wenn Sie verstehen â¦Â«
»Natürlich, was meinen Sie, wie mir zumute ist, wenn Martainn einmal
nicht pünktlich zu Hause ist!«
»Ja, wo ist denn überhaupt Ihr Sohn? Lassen Sie ihn etwa allein mit
Ihrer Frau und diesem Kerl?«
»Oh nein, ich denke sogar, er wird nach der Scheidung bei mir leben
wollen. Martainn ist in diesem Jahr bei meinem Bruder und meinen Neffen in
London. Er wollte mit Gleichaltrigen feiern, aber ich möchte Sie nicht länger
aufhalten. Ich warte im Tearoom auf Sie. Am Kamin.«
Liam zwinkerte ihr verschwörerisch zu und eilte zu seinem Wagen.
Lili blieb verunsichert zurück. Wie gut ihr die Gespräche mit Liam
Brodie auch immer taten, sie wehrte sich gegen diese Nähe, die sich jedes Mal
wie von selbst zwischen ihnen beiden einstellte. Es war auch für Lili kaum noch
zu übersehen, dass er sie nicht nur als Mandantin zu schätzen wusste. Und das
durfte sie auf keinen Fall schüren.
Lili atmete tief durch. Das ist doch lange kein Grund, ihn dermaÃen
unhöflich zu behandeln, ermahnte sie sich, während sie zurück in ihren Riley
kletterte. Liams Wagen war nicht mehr zu sehen, als sie anfuhr. Ihr gingen
seine Worte im Kopf herum. Und Sie wollen das jetzt mit eigenen Augen
überprüfen? War da nicht ein Unterton von Missbilligung angeklungen? Wäre es
nicht vernünftiger, umzukehren und auf Isobels Rückkehr zu warten?
22
W ährend Lili ernsthaft darüber nachgrübelte, ob sie richtig
handelte, nahm sie bereits die Abzweigung nach rechts hoch hinauf in den Wald
nach Strathpeffer. Der einstige Kurort war beinahe von allen Seiten von dichtem
Grün umgeben. Hier sieht es aus wie in einem typischen Schwarzwalddorf, hatte
Dustens deutscher Freund Wilhelm behauptet, als er sie im Sommer 1925
besucht hatte. Mit Wilhelm verband Dusten eine ungewöhnliche Freundschaft. Er
hatte diesen Hamburger Kaufmann am Tag, bevor er wegen einer Verletzung von der
Front abgezogen worden war, in der Weihnachtsnacht 1914 in Flandern
kennengelernt. Lili liebte diese Geschichte von dem spontanen Weihnachtsfrieden
zwischen den Feinden. Sie hatten sich mit weiÃen Tüchern verständigt, die
Kämpfe einzustellen, waren dann ohne Waffen aufeinander zugegangen und hatten
im Niemandsland ihre Verpflegung und ihre Zigaretten geteilt. Dusten hatte
diesen Wilhelm damals nach Schottland eingeladen, sobald der Krieg vorüber
wäre. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie einander tatsächlich in Friedenszeiten
wiedersehen würden, falls sie überhaupt überlebten, doch Wilhelm aus Hamburg
hatte ihn tatsächlich in den Highlands aufgesucht.
Merkwürdig, dass ich gerade jetzt an diesen Deutschen denken muss,
dachte Lili, als ihr einfiel, dass sie ihm gar keine Todesanzeige geschickt
hatte. Sie nahm sich vor, dies schnellstens nachzuholen.
Das Hotel lag gleich linker Hand am Ortseingang. Jedes Mal, wenn
Lili die verzierte hölzerne Fassade des Hotels erblickte, musste sie an ihren
erzwungenen Kuraufenthalt im August 1914 denken. Niall hatte sie zu einer
Kur geschickt, weil er glaubte, sie könne nicht schwanger werden. Dabei hatte
sie zu dem Zeitpunkt, ohne es zu bemerken, bereits sein Kind unter dem Herzen
getragen. Sie würde das Datum niemals vergessen, denn am neunten August war sie
vorzeitig nach Scatwell Castle zurückgekehrt, nachdem sie erfahren hatte, dass
GroÃbritannien Deutschland den Krieg erklärt hatte. Zu Hause war es dann zu
einer ganz privaten Schlacht gekommen. Niall hatte nämlich während ihrer
Abwesenheit herausgefunden, dass sie eine Makenzie war. Im Streit hatte er sie
von sich gestoÃen, sodass sie infolge des Sturzes ihr Kind verloren hatte.
Niall hatte sich daraufhin freiwillig gemeldet, und Lady Caitronia hatte sie
aus dem Haus geworfen.
Damals hatte sie in Litte Scatwell bei GroÃmutter Mhairie und Dusten
Unterschlupf gefunden. Und man hatte ihr Isobel genommen. Wenn Mhairie und
Dusten nicht gewesen wären, sie hätte diese furchtbare Zeit nicht unbeschadet
überstanden. Aber sie hatte den Kampf um Isobel nicht aufgegeben, und wie durch
ein Wunder war der sterbende Niall in einem Lazarett zur Vernunft gekommen. Vor
seinem Tod hatte er verfügt, dass sie das Sorgerecht für seine Tochter bekommen
solle. Denn Niall
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