Die Rose des Propheten 2 - Das Buch Quar
einen Pfad und forderte Khardan und Achmed auf, ihr zu folgen. Von den Drehungen und Windungen des Irrgartens geschickt verborgen, hätte niemand von ihnen diesen Weg jemals entdeckt. Kein Pfeil erreichte auch nur ihre Nähe. Dennoch hörten sie die fragenden Rufe tiefer Stimmen und das schrille Quieken des Eunuchen in gefährlicher Nähe.
Ohne zu zögern, führte das Mädchen sie sicher durch einen wahren Blätterwald, in dem die beiden, auf sich gestellt, augenblicklich verloren gewesen wären. Khardan konnte die Mauer nicht mehr sehen. Durch die hohen Bäume hindurch erkannte er rein gar nichts, und ein leiser Zweifel begann sich in ihm zu regen, bis sie plötzlich um eine Ecke bogen und die Mauer erblickten, an der eine Reihe von Büschen mit langen, bösartigen Dornen wuchs.
Schlimmes ahnend starrte Khardan die Büsche an. Möglicherweise konnten sie an ihnen die Mauer erklimmen, aber ihr Fleisch würde ihnen in Fetzen vom Körper hängen, falls sie überhaupt oben ankamen. Vielleicht waren die Dornen sogar giftig. Ein klebriger Tropfen schimmerte an jeder Spitze. Dennoch war es immer noch besser, als im Gefängnis des Emirs zu verhungern. Der Kalif schob das Mädchen hinter sich und wollte gerade an den Ästen emporklettern, als sie ihn zu seinem großen Erstaunen zurückhielt.
»Nein, sieh doch!« Sie eilte zur Mauer und zog einen losen Stein heraus. Ein schleifendes Geräusch war zu hören, und zu Khardans Überraschung bewegte sich der Dornenbusch langsam zur Seite und legte in der Mauer eine Öffnung frei. Khardan erkannte durch sie den Marktplatz und vernahm das Gemurmel vieler Stimmen.
Andere wütende Stimmen hinter ihnen kamen immer näher. Das Mädchen eilte schnell auf die Straße hinaus. Khardan packte Achmed, stieß seinen Bruder durch das Loch in der Mauer und folgte ihm.
Er entdeckte die junge Frau, die neben einem blinden Bettler kniete, der wie zufällig in der Nähe der Maueröffnung saß. Hastig sprach sie auf ihn ein. Khardan beobachtete verblüfft, wie sie einen goldenen Armreif vom Handgelenk streifte und in den Korb des Bettlers fallen ließ. Mit einer für einen blinden Bettler erstaunlichen Behendigkeit schnappte sich dieser das Armband und ließ es schnell zwischen seinen Lumpen verschwinden.
»Kommt!« Das Mädchen ergriff Khardan bei der Hand.
»Was ist mit der Öffnung in der Mauer?« fragte er. »Sie werden merken, daß wir entkommen sind…«
»Der Bettler wird sich darum kümmern. Das ist seine Aufgabe. Wo, sagtest du, warten deine Männer?«
»Am Sklavenmarkt.«
Khardan sah sich suchend auf der Straße um. Achmed schaute ihn fragend an, er wartete offensichtlich auf einen Befehl, doch der Kalif hatte nicht die geringste Ahnung, welche Richtung er einschlagen sollte. Die Basare gingen ohne jede Trennung ineinander über; er hatte sich jetzt schon völlig verirrt. Das Mädchen jedoch schien genau zu wissen, wo sie sich befanden. Hastig schob sie Khardan und seinen Bruder in das dichte Gedränge zwischen den farbenfrohen Ständen. Als der Kalif sich umsah, wirkte die Mauer wieder glatt und unbeschädigt. Auch der blinde Bettler mit seinen milchigen Augen kauerte wieder davor.
Niemand schien mehr auf sie zu achten.
»Die Soldaten werden vermuten, daß sie euch im Garten in der Falle haben!« Das Mädchen, das sich dicht an Khardan hielt, wies nach vorn. »Dort ist der Sklavenmarkt… und… sind das deine Männer?« Sie zauderte merklich. »Dieser… wüst aussehende Haufen?«
»Ja«, antwortete Khardan gedankenverloren und grübelte weiter. »Glaubst du, daß die Soldaten sich darauf beschränken werden, nur den Palast zu durchsuchen?«
»Oh, ja!« Das Mädchen erwiderte seinen Blick mit ihren großen Augen, und plötzlich bemerkte er, daß sie blau wie der Himmel über der Wüste waren, blau wie Saphire, blau wie kühles Quellwasser. »Ihr werdet genug Zeit haben, aus der Stadt zu fliehen. Ich danke dir, du kühner Fremder«, sie errötete und schlug die Augen vor seinem Blick sittsam nieder, »daß du mich gerettet hast.«
Khardan sah, wie das Mädchen im Stehen schwankte. Als sie fiel, fing er sie schnell mit den Armen auf und verwünschte sich, weil er nicht daran gedacht hatte, wie erschöpft und benommen sie von den erlittenen Qualen sein mußte.
»Es tut mir leid«, murmelte sie matt, ihr Atem streifte sanft wie der Abendwind seine Wange, »daß ich eine solche Last bin. Verlaßt mich. Ich habe Freunde…«
»Unsinn!« stieß Khardan unwirsch hervor. »Du bist
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