Die Rose des Propheten 3 - Das Buch der Unsterblichen
seinem Zelt herumsitzt und um eine Lebensweise trauert, die ebenso tot ist wie sein Sohn! Kannst du das nicht begreifen, Frau? Akhran ist Vergangenheit! Mein Vater ist Vergangenheit! Khardan ist Vergangenheit!« Tränenüberströmt packte Achmed die Stäbe, schüttelte sie durch und schrie: »Ich – Achmed! Ich bin die Zukunft! Ja, das ist wahr! Ich werde ins Heer des Emirs eintreten! Ich…«
Eine Hand packte ihn an der Schulter, riß ihn herum.
Achmed blickte in Saiyads haßverzerrtes Gesicht.
»Verräter!« Eine Faust schlug gegen Achmeds Kiefer und schleuderte ihn rückwärts gegen die Gitterstäbe. Die Gesichter weiterer Stammesmitglieder rückten näher. Glitzernde Augen schwebten auf Wogen heißen Atems und Schmerzes. Ein Fuß trieb sich in seine Eingeweide. Schmerzerfüllt sackte Achmed zu Boden. Hände packten ihn am Kragen seines Gewands, rissen ihn auf die Beine. Ein weiterer Schlag auf den Mund. Ein loderndes Feuer in seinem Unterleib, das ihm einen Schrei über die Lippen preßte. Er lag wieder am Boden, bedeckte den Kopf mit den Armen, versuchte sich zu schützen: vor den Augen, den Händen, den Füßen, dem Haß, dem Wort…
»Verräter!«
7
Qannadi saß noch spät in seinen Privatgemächern. Er war allein, seine Frauen und Konkubinen zur Enttäuschung verdammt, denn heute nacht würde keine auserwählt werden. Kuriere hatten Meldungen aus dem Süden überbracht, und der Emir hatte seinen Stab angewiesen, daß er nicht gestört werden wolle.
Im Licht einer Öllampe, die hell auf seinem Schreibtisch schien, las Qannadi die Berichte seiner Spione und Doppelagenten – Männer, die er in die Regierungen der Städte von Bas eingeschleust hatte, die von innen heraus an ihrem Umsturz arbeiteten. Er studierte sie, verglich sie mit den Meldungen seiner Befehlshaber im Feld und nickte gelegentlich zufrieden.
Die Kreise, die der Steinwurf gegen die Nomaden gezogen hatte, breiteten sich noch immer über den Teich aus. Qannadi hatte dafür gesorgt, daß seine Agenten öffentlich verkündeten, daß der Emir Bas einen sehr großen Gefallen getan habe, indem er sie von der Lanze befreite, die schon so lange gegen ihre Kehle gerichtet hatte. Es spielte keine Rolle, daß schon ganze Jahrhunderte verstrichen waren, seit die Nomaden Bas angegriffen hatten und daß der Angriff zu einer Zeit erfolgt war, als die neu entstehenden Städte als Bedrohung der nomadischen Lebensweise angesehen worden waren. Die damaligen Schlachten waren so verheerend gewesen, daß sie noch immer in Legende und Gesang weiterlebten, und so genügte schon die bloße Erwähnung der furchtbaren Spahis – der grausamen Wüstenreiter in ihren schwarzen Umhängen und schwarzen Masken –, um manch einem Ratsherrn das Blut aus den runden Wangen zu treiben.
Das Volk von Bas wurde demokratisch regiert, alle Männer von Besitz (was Frauen, Sklaven, Lohnarbeiter, Soldaten und Ausländer ausschloß) hatten das gleiche Wahlrecht; und so hatte man schon viele Jahre in relativem Frieden gelebt. Nachdem sie erst einmal ihre Stadtstaaten errichtet hatten, widmeten sie sich ihrer Lieblingsbeschäftigung – der Politik. Ihr Gott, Uevin, dessen drei Merkmale Recht, Geduld und Wirklichkeit waren, liebte alles, was neu und modern war, während er alles Alte verabscheute. Er hatte eine materialistische Sicht der Welt. Was zählte, war die Gegenwart – das, was man sehen und berühren konnte. Das Volk von Bas bestand darauf, jeden Augenblick seines Lebens zu verplanen, und so gab es in seinen Städten so viele Verfügungen und Gesetze, daß man schon eine einmonatige Gefängnisstrafe dafür bekommen konnte, wenn man an einem geraden Kalendertag auf der falschen Straßenseite spazierenging. Für diese Menschen war es die größte Freude ihres Lebens, sich in den Ratshallen zu scharen und stundenlang endlosen Streitgesprächen über banale Feinheiten ihrer zahlreichen Verfassungen zuzuhören.
Die zweitgrößte Freude von Uevins Anhängern bestand darin, Wunderwerke moderner Technologie zu erschaffen. Riesige Aquädukte durchzogen ihre Städte, um die Häuser entweder mit Wasser zu versorgen oder die Abfälle abzuführen. Die Gebäude waren massiv gebaut und in modernem Stil gehalten, ohne jeden überflüssigen Zierat, angefüllt mit mechanischen Gerätschaften jeglicher nur erdenklichen Gestalt und Form. Sie hatten neue Methoden des Ackerbaus entwickelt – Terrassenbau, künstliche Bewässerung, Fruchtfolgen zur Entlastung des Bodens. Sie
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