Die Rose des Propheten 3 - Das Buch der Unsterblichen
kahler Brust. Er geht in Frauenkleidern umher, um zu verbergen, wer er ist. Meine Quelle hat ihn zwar keine Magie ausüben sehen, hat sie aber in ihm gespürt – oder meinte das zu tun.«
»Und wo ist dieser Mann?«
»Das ist das Seltsame daran, Hazrat Quar. Der Mann ist den Soldaten entkommen, als sie das Lager überfielen. Er hat in Pläne eingegriffen, diesen gefährlichsten unter den Nomaden – Khardan – in unsere Gewalt zu bringen. Sowohl der Verrückte als auch Khardan sind unter rätselhaften Umständen verschwunden. Man hat ihre Leichname nie gefunden. Und doch wurde keiner von ihnen danach jemals wieder gesehen. Noch seltsamer aber ist, daß meine Quelle, eine geschulte Zauberin, zwar weiß, daß Khardan noch am Leben ist. Will sie ihn aber mit ihrer Magie suchen, wird ihre mystische Vision von einer undurchdringlichen, finsteren Wolke verdeckt.«
Das Schweigen des Gotts hüllte den Imam ein. Feisal schwindelte, sein Kopf wurde ihm leicht.
»Du hast wohlgetan, mein Diener«, sprach Quar schließlich. »Solltest du noch weiteres über diesen Mann aus Übersee vernehmen oder in Erfahrung bringen, so mache mir sofort davon Mitteilung.«
»Jawohl, Heiliger«, murmelte Feisal verzückt.
Die Dunkelheit war plötzlich leer und kalt. Die Verzückung entwich aus dem Leib des Imams. Zitternd erhob er sich und kroch zu seinem Lager auf dem kalten Marmorboden. Mit weichen Knien sank er darauf und tastete mit bebender Hand nach einem Bündel aus weichem Tuch, das er darunter verborgen hatte. Feisal holte es mit schwindender Kraft hervor und wickelte den Verband fest um seine Wunde.
Er verlor das Bewußtsein und sackte auf das blutbefleckte Lager. Der Stoffballen fiel ihm aus der Hand und entrollte sich auf dem schwarzen, kalten Fußboden.
6
Wir schlagen keinen geprügelten Hund… Wirst du dich auf das Grab deines Herrn legen und sterben?
Zusammengekauert in seiner dunklen Zelle wiederholte Achmed die Worte des Emirs. Es war wahr. Alles, was der Emir gesagt hatte, war wahr!
»Wie lange bin ich schon im Gefängnis? Zwei Wochen? Zwei Monate?« Verzweifelnd schüttelte Achmed den Kopf. »Ist es Morgen oder Nacht?« Er hatte keine Ahnung. »Habe ich heute etwas zu essen bekommen, oder war das die gestrige Mahlzeit, an die ich mich erinnere? Ich kann die Schreie nicht mehr hören. Ich kann den Gestank nicht mehr riechen!«
Achmed griff sich an den Kopf. Er erinnerte sich an eine Bestrafung, die einen Menschen seiner fünf Sinne beraubte. Als erstes wurden ihm die Hände abgehauen, um ihm den Tastsinn zu nehmen. Dann stach man ihm die Augen aus, schnitt ihm die Nase ab, riß ihm die Ohren vom Kopf. Dieser Ort war sein Henker! Der Tod, den er hier starb, war grausiger als jede Folter. Das Leid kreischte ihn an, doch er hatte keine Ohren mehr, es zu hören. Schon vor langer Zeit hatte der Gefängnisgeruch ihm nichts mehr anhaben können, und nun wußte er auch, warum: Der üble Gestank war sein eigener. Entsetzt mußte er feststellen, daß er begonnen hatte, die Prügel der Wärter zu genießen. Der Schmerz gab ihm das Gefühl, am Leben zu sein…
In panischer Angst sprang Achmed auf die Beine und warf sich gegen die hölzerne Tür, er hämmerte mit den Fäusten dagegen und flehte darum, freigelassen zu werden. Die einzige Antwort war eine gebrüllte Verwünschung aus einer anderen Zelle, in der der Schuldner unsanft aus seinem Schlummer erwacht war. Es kamen keine Wärter. Achmed glitt in der Türöffnung herab und sackte zu Boden.
Er sah sich auf einem Grab liegen. Ein schrecklicher Wind kam auf, wehte den Sand davon und drohte, den Leichnam freizulegen. Eine Woge des Ekels und der Furcht überkam Achmed. Er konnte den Anblick des faulenden, verwesenden Leichnams nicht ertragen. Verzweifelt schaufelte er den Sand wieder über den Kadaver, nahm ganze Hände voll und schleuderte ihn auf das Grab. Doch jedesmal packte der Wind den Sand und blies ihn wieder in sein Gesicht zurück. Hastig arbeitete er weiter, doch der Wind war gnadenlos. Langsam trat das Antlitz des Leichnams hervor – ein Männergesicht, das welke Fleisch vom Seidenschleier einer Frau bedeckt…
Das krächzende Geräusch des Holzbalkens, der in der Tür angehoben wurde, riß Achmed aus seinem Traum. Die schlurfenden Schritte der Gefangenen, die nach draußen getrieben wurden, und die fernen Schreie von Frauen und Kindern teilten dem jungen Mann mit, daß es Besuchszeit war.
Langsam stand Achmed auf, er hatte seine Entscheidung
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