Die Rose des Propheten 5 - Das Buch der Nomaden
nicht schlafen?« fragte er ausdruckslos. »Ich werde mich um den jungen Mann kümmern.«
Er sah sie zusammenzucken, die Schultern zurückreißen, dann richtete sie sich wieder auf. Sie drehte sich zu ihm um, und er stellte sich darauf ein, mit ausdrucksloser Miene den dunklen Augen zu begegnen, die ihm in die Tiefen seiner Seele blickten. Geduldig wartete er darauf, daß ihr Zornessturm über ihn hereinbrach. Doch sie ließ den Kopf hängen und das Tuch aus den Händen ins Wasser fallen. Zohra hob das Gesicht, um an den Himmel zu blicken, nicht um zu beten, sondern um die Tränen zurückzuhalten.
»Er will ihn töten, nicht wahr?«
»Ja.« Mehr konnte Khardan nicht dazu sagen.
»Und du wirst es geschehen lassen!« Es war eine Anschuldigung, ein Fluch.
»Ja«, erwiderte Khardan gefaßt. »Würdest du ihn allein seiner Krankheit überlassen, damit das Fieber ihn verbrennt, oder damit er sich in seinem Wahn verletzt oder von irgendeinem Tier gerissen wird…«
»Nein!« Zohra funkelte ihn an.
»Willst du mit ihm sterben?« setzte Khardan nach. »Unser Volk im Stich lassen, jetzt, da wir nur noch zwei Tagesritte von ihm getrennt sind? Soll alles, was wir durchgemacht haben, umsonst gewesen sein? Soll alles, was er erreicht hat, umsonst gewesen sein?«
»Ich…« Die Worte erstarben aufbebenden Lippen. Dann fielen die Tränen und glitten ihre Wange hinab.
Khardan kniete neben Zohra nieder. Er wollte sie in die Arme nehmen und mit ihr seine eigene Trauer teilen, seine Wut und Furcht, die ihn in den leeren, stummen Gängen des toten Hauses überwältigt hatte. Seine Hand schob sich vor, um sie zu berühren, doch in diesem Augenblick reckte sie stolz das Kinn vor und wischte sich schnell über die Augen.
»Du wirst ibn Jad töten«, sagte sie entschieden.
»Das darf ich nicht. Ich habe einen Eid geleistet«, erwiderte Khardan. »Außerdem könnte ich niemanden töten, der mir zweimal das Leben gerettet hat.«
»Dann werde ich ihn töten. Gib mir deinen Dolch.« Die dunklen Augen blickten ihn herausfordernd an.
Khardan senkte sein Gesicht, um ein Lächeln zu verbergen. »Das würde die Angelegenheit nicht lösen«, sagte er ruhig. »Dann wäre Mathew immer noch krank. Wir hätten immer noch nicht mehr als Wasservorräte für drei Tage und keine Möglichkeit, neue zu beschaffen, wenn sie verbraucht sind. Und wir werden zwei Tage brauchen, um den Tel zu erreichen.«
Sie konnte nicht antworten, sah ihn aber mit dem Zorn an, den Menschen auf jemanden hegen, der eine unangenehme Wahrheit ausspricht.
Mathew wand sich und stöhnte. Mit einer Sanftheit, die nur wenige jemals zu sehen bekamen, streckte Khardan die Hand aus und legte sie auf die Stirn des Jungen.
»Ruh dich aus«, murmelte er, und ob es nun an der Berührung lag oder am Klang der geliebten Stimme, die das Grauen des Deliriums durchstieß, Mathew beruhigte sich jedenfalls. Die geschundenen Glieder entspannten sich. Doch das würde nur vorübergehend so sein.
Khardan fuhr fort, die bleiche Haut zu streicheln, die sich so trocken und heiß anfühlte wie eine Sandschlange.
»Er wird schnell und schmerzlos aus diesem Leben treten. Sein Leiden wird endlich ein Ende haben. Wir werden ihm keinen schlechten Dienst erweisen, Zohra. Du weißt ebenso wie ich, daß er nicht glücklich damit ist, unter uns zu leben.«
»Und wessen Schuld ist das wohl?« fragte Zohra mit leiser, bebender Stimme. »Wir haben auf ihn heruntergesehen und ihn verhöhnt und verachtet, weil er sich als Frau verkleidete, um zu überleben. Aber jetzt wissen wir selbst, wie das ist, an einem fremden und feindseligen Ort allein und hilflos zu sein! Haben wir uns etwa besser betragen? Dieser böse Ritter mag uns zwar bei der Flucht geholfen haben, doch es war Mat-hew, der dich gerettet hat…«
»Hör auf, Frau!« rief Khardan und erhob sich wieder. »Jedes Wort, das du sagst, ist ein Messer in meinem Herzen, und du fügst mir keine Wunden zu, die ich nicht schon selbst empfunden hätte! Aber ich habe keine Wahl! Ich habe die beste Entscheidung getroffen, die ich treffen konnte. Wenn kein Wunder geschieht und Wasser von den Händen Akhrans stürzt…« Khardan zeigte auf Mathew. »… dann muß der Junge sterben. Wenn du hierbleibst und versuchst ihn daran zu hindern, wird ibn Jad keine Skrupel haben, auch dich zu töten.« Khardan streckte ihr die Hand entgegen. »Ich habe dem Jungen in der Wüste das Leben gerettet. Wir sind einander nichts mehr schuldig. Wirst du nun kommen und dich vor
Weitere Kostenlose Bücher