Die Rose des Propheten 6 - Das Buch Promenthas
erwachende Interesse in den Augen der Frauen bemerkte und selbst Begeisterung zu entwickeln begann, »ist das Pergament, auf das jede von euch ihn aufschreiben muß. Zohra und ich haben die Pergamente unter unseren Kleidern versteckt mitgebracht. Und wir brauchen Wasser.«
»Wasser?« Badia wirkte ernst. »Wieviel Wasser?«
»Na ja…« Mathew stockte. »Eine Schale für jede. Gibt es im Gefängnis denn keinen Brunnen?«
»Draußen vor den Mauern, ja.« Badia wies auf die Stelle.
Mathew verwünschte sich. Würde er denn niemals begreifen, daß Wasser in diesem Land knapp und kostbar war? Er dachte angestrengt nach. »Die Wachen müssen euch doch Wasser bringen. Wann? Wieviel?«
Badias Miene hellte sich etwas auf. »Sie bringen uns am Morgen und am Abend Wasser. Nicht viel, vielleicht einen Becher für jeden, und den müssen wir mit den Kindern teilen.«
Als er die geschwollenen Zungen und rissigen Lippen der Frauen betrachtete, die dazu gezwungen waren, in der heißen Sonne des Gefängnishofs zu stehen oder zu arbeiten, konnte Mathew sich schon denken, wieviel sie davon tranken und wieviel sie den Kindern weitergaben. Sein Zorn erschreckte ihn. Hätte er jetzt den Imam zwischen die Finger bekommen, er hätte dem Mann das Leben aus dem Leib geprügelt. Unter Mühe riß er sich wieder zusammen.
»Wenn die Wachen heute abend das Wasser bringen, dürft ihr nichts davon trinken, sondern müßt es an einem sicheren Ort verstecken. Es darf kein einziger Tropfen vergeudet werden, denn ihr werdet jedes bißchen brauchen. Und betet zu Promenthas, daß es genügt!«
»Werdet ihr es tun?« fragte Zohra erregt.
Alle Frauen sahen auf Badia. Als Majiids Hauptfrau hatte sie das Recht auf Befehlsgewalt, und sie hatte es sich während dieser Krise wahrhaft verdient. Alle respektierten sie, alle vertrauten ihr.
»Was ist mit den jungen Männern und einigen unserer Ehemänner, die in den Zellen eingesperrt sind?«
»Wo sind die Zellen?« fragte Mathew und blickte sich um.
»In dem Gebäude dort.«
»Irgendwelche Wachen?«
»Drei. Sie haben die Schlüssel am Mann, damit sie die Zellen betreten können, wenn sie die Insassen mißhandeln wollen«, erwiderte Badia verbittert.
»Dann werden wir uns eben vor Durchführung des Zaubers erst ins Wachhaus begeben, die Wächter überwältigen und die Männer befreien.« Mathew sprach in geschmeidigem Tonfall, obwohl er nicht die leiseste Ahnung hatte, wie sie das bewerkstelligen sollten. »Die Männer müssen in eurer Nähe bleiben, wenn der Zauber verhängt wird, dann wird der Nebel auch sie umhüllen.«
»Sie werden kämpfen wollen«, warf eine junge Ehefrau ein.
»Wir müssen dafür sorgen, daß sie es nicht tun«, entgegnete Badia forsch und in den Augen, von denen man wußte, daß sie sogar den mächtigen Majiid in die Knie gezwungen hatten, glitzerte Stahl. Das Glitzern verblaßte jedoch, und nun schaute sie in düsterem Ernst auf Zohra. »Wenn wir dies nicht tun sollten, Tochter, welche Möglichkeit bleibt uns dann noch?«
»Keine«, erwiderte Zohra leise. »Dann werden wir hier sterben. Und zwar… auf die gräßlichste Art. Und unsere Männer werden bei dem Versuch sterben, unseren Tod zu rächen.«
Badia nickte. »Das Ende unseres Volkes.«
»Ja.«
Die Frauen auf dem Gefängnishof warteten, beobachteten Badia, deren Haupt entweder in feierlichem Denken oder vielleicht zum Gebet geneigt war. Schließlich hob sie den Blick und sah ihrer Schwiegertochter in die Augen. »Ich beginne, Akhrans Weisheit zu begreifen, als er dich zur Frau meines Sohns erkor. Bestimmt hat der Gott dich gesandt, und vielleicht hat er sogar den Verrückten geschickt, um uns zu helfen.«
Badia wandte sich an Mathew. »Zeig uns, was wir tun müssen.«
7
Die Nacht brach in Teilen Kichs an, während sie in anderen im Zaum gehalten wurde. Der Tempel und das ihn umgebende Gelände schimmerte kräftiger als die Sonne; Fackeln und Freudenfeuer warfen die Dunkelheit zurück und hielten sie außerhalb der Umzäunung, mit der man die Tempelstufen eingefaßt hatte, von wo der Imam zu seinem Volk sprechen sollte. Der große goldene Widderkopfbau war bereit. Nachdem man den goldenen Altar in den Tempel verbracht hatte, hatte man einen anderen gebaut, der von den unteren Priestern geweiht worden war, um sich auf die Darbietung des Glaubens der Lebenden und der Seelen der Toten an Quar vorzubereiten.
Der Imam und seine Priester sollten um Mitternacht zum Volk reden. Feisal hatte vor, die Leute mit seinen
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