Die Rose des Propheten 6 - Das Buch Promenthas
begierig.
Als Zohra und Mathew das Gelände betraten, von den grinsenden Wächtern durch das Tor geschoben, wurden sie von allen dabei beobachtet. Und doch sagte niemand ein Wort. Das Spielen der Kinder verstummte, als die Mütter sie eng an die Röcke ihrer Umhänge preßten. Jedes Gespräch brach ab.
Den Kopf stolz erhoben, schritt Zohra durch die Reihen ihres Volks. Mathew, der den Anschein erweckte, daß ihm unbehaglich zumute war, folgte in wenigen Schritten Entfernung.
Als Zohra sich umschaute, erblickte sie zwar viele Bekannte aber keine Freunde. Die Frauen ihres eigenen Stamms, der Hrana, verabscheuten sie wegen ihrer unfraulichen Art, die ihnen deutlicher als alle Worte offenbarte, welche Verachtung ihre Prinzessin für sie hegte. Die Frauen der Akar haßten Zohra, weil sie eine Hrana war, weil sie ihren Liebling, ihren Kalifen geheiratet hatte, um dann keinerlei Gespür für diese hohe Ehre zu beweisen, indem sie sich weigerte, seine Mahlzeiten zuzubereiten, sein Zelt zu versorgen und seine Teppiche zu knüpfen. Die Frauen von Zeids Stamm mochten sie nicht, weil sie eine Hrana war und wegen der Gerüchte, die sie über sie gehört hatten.
Was Mathew betraf, so war er verrückt – ein Mann, der sich Frauenkleider angelegt hatte, um dem Tod zu entgehen. Akhran verlangte, daß man den Verrückten mit gebührender Höflichkeit begegne, und so behandelte man ihn auch höflich. Aber Respekt, Freundschaft? Das war völlig ausgeschlossen.
Die Schar der Frauen teilte sich, um Zohra und Mathew vorbeischreiten zu lassen. Zuerst blickte Zohra sie alle verächtlich an, während ihre eigenen Gefühle des Hasses und des Hohns wie Gift in ihrem Blut brannten. Als sie sich umdrehte, um Mathew von der Seite anzublicken und ihn zu fragen, weshalb sie sich nur diese Mühe gemacht hatten, brachte sie sein Gesichtsausdruck dazu, innezuhalten. Mitgefühl, verbunden mit wachsendem Zorn, hatte dem jungen Mann einen Tränenschimmer in die grünen Augen getrieben. Zohra blickte ihr Volk ein zweitesmal an – und sah es zum allerersten Mal.
Die Lebensbedingungen der Leute waren gräßlich – ungenügende, ungesunde Nahrung, wenig Wasser; sie lebten jeden Tag buchstäblich am Rande des Todes. Jede Frau hatte einen Platz auf dem Gefängnishof, der gerade groß genug war, um ihre Decke darauf auszubreiten. Kinder wimmerten vor Hunger oder saßen da und starrten mit Augen auf die Welt hinaus, die schon viel zu früh viel zuviel gesehen hatten. Hier und dort lag eine Frau auf einer Decke, zu schwach, um sich noch zu rühren. Zohra bemerkte einen Geruch von Krankheit. Ohne ihre Kräuter und Feishas waren die Frauen nicht dazu in der Lage, die Kranken zu versorgen. In einer abgelegenen Ecke des Hofs bedeckte eine Decke jene, die während der Nacht gestorben waren.
Und doch besaßen diese Frauen und Männer etwas, das ihre Peiniger ihnen nie entreißen konnten: ihre Würde und ihre Ehre. Als Zohra sie anblickte und die ruhige Gelassenheit bemerkte, die sie umgab, als sie die furchtlosen Augen schaute, Augen, die den Glauben an ihren Gott und aneinander in sich trugen, spürte Zohra, wie ihr eigener Stolz erlosch. Die Wunde in ihrer Seele würde nun endlich beginnen zu heilen. Die Augen dieser Frauen waren ein Spiegel, spiegelten sie selbst, und plötzlich mochte Zohra nicht, was sie da sah.
In ihrer Sehnsucht nach der Macht der Männer hatte sie nicht gesehen oder sich geweigert es zu sehen, daß Frauen über ihre eigene Macht verfügten. Es bedurfte des Zusammenspiels beider Kräfte, um ihr Volk am Leben zu halten, um Kinder in die Welt zu setzen, um sie zu beschützen und zu hegen und zu nähren. Keine der beiden war besser oder wichtiger als die andere, beide waren notwendig und gleichwertig.
Respekt und Ehrerbietung füreinander – das war die Ehe in den Augen des Gotts.
Zohra vermochte diese verwirrenden Gedanken nicht auszudrücken. Sie konnte nicht einmal damit beginnen, sie zu begreifen. In diesem Augenblick wußte sie nur, daß sie sich schämte und sich dieser tapferen, ruhigen Frauen unwürdig fühlte, die einen täglichen, hoffnungslosen Kampf geführt hatten, um ihre Familien zusammenzuhalten und den Glauben an ihren Gott zu bewahren.
Vor diesen Augen mußte Zohra den Kopf senken. Sie geriet ins Straucheln und spürte, wie Mathew seinen Arm um sie stahl.
»Bist du krank oder verletzt?«
Wortlos schüttelte sie den Kopf, unfähig zu sprechen.
»Ich weiß«, sagte er, und seine Stimme brannte von einem Zorn, der
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