Die Rose des Propheten 6 - Das Buch Promenthas
Ich hörte euch sprechen – meine Ohren sind sehr gut, wie du vielleicht bemerkt haben wirst. Was Benario nimmt, zahlt er manchmal doppelt heim. Ich denke, ihr wollt wohl wissen, wie man den Tunnel findet, der unter der Straße zum Tempel führt.«
»Ein solches Wissen könnte durchaus interessant sein«, erwiderte Auda beiläufig. »Wenn nicht heute nacht, dann irgendwann später einmal.«
Der Bettler lachte und ließ beide fahren.
»Wir haben kein Geld mehr«, sagte der Kalif, weil er dachte, daß der Alte es darauf abgesehen hatte.
Der Bettler machte eine wegwerfende Geste. »Ich will deine Münzen nicht. Aber du hast etwas, was du mir im Tausch gegen meine Hilfe tatsächlich geben kannst.«
»Was denn?« fragte Khardan zögernd, und er wurde den Eindruck nicht los, daß diese blicklosen Augen ihn durchschauen konnten.
»Den Namen der Frau, die sich vorbeugte, um einem armen Bettler zu helfen, als ihr Mann ihn heute liegenlassen wollte.«
Khardan fuhr zusammen vor Überraschung. »Ihren Namen?« Zweifelnd blickte er Auda an, der nur mit den Schultern zuckte.
»Zohra«, sagte Khardan, sprach es langsam und zögerlich aus, weil er das Gefühl hatte, daß daran etwas sehr Besonderes sein mußte.
»Zohra«, flüsterte der blinde Bettler. »Die Blume. Das paßt zu ihr. Von nun trage ich den Namen in meinem Herzen«, die leeren Augen verengten sich, »und er wird mich beschützen. Nachdem ihr durch die Mauer geklettert seid, tretet ihr vier Schritte vor, dann kommt ihr auf einen mit Steinplatten belegten Gartenpfad. Folgt diesem Pfad vierzig Schritt weit, dann erreicht ihr eine weitere Mauer, in die ein hölzernes Tor eingelassen ist. Dieses Tor trägt das Zeichen des goldenen Widderkopfes. Es gibt kein Schloß, obwohl ich darauf wetten würde, daß Qannadi sich nur zu oft eins gewünscht hätte«, kicherte der alte Mann. »Der Imam und seine Priester können sich heutzutage ungehindert im Palast bewegen. Folgt dem Tunnel, der führt euch zu einem weiteren Tor, das doch ein Schloß hat. Doch du, Mann des Todes, dürftest keine Schwierigkeiten haben es zu öffnen. Dieses Tor führt euch in den Altarraum.«
Mit diesen Worten ließ der Bettler die Hand hinter sich gleiten. Sie vernahmen ein Klicken, dann klaffte die Mauer auf. Auda huschte hinein, und Khardan wollte ihm schon folgen, als er doch noch einmal die knochige Schulter des Bettlers berührte. »Der Segen Akhrans sei mit dir, Vater.«
»Ich habe den Namen der Frau«, erwiderte der Bettler in scharfem Ton. »Mehr werde ich heute nacht nicht brauchen.«
Verwundert ließ Khardan den Bettler zurück und schlüpfte zum zweitenmal an diesem Tag in den verbotenen Lustgarten des Emirpalastes.
Sie hatten keine Schwierigkeiten, den Anweisungen des Bettlers zu folgen. Es war gut, daß er ihnen die Zahl der Schritte genannt hatte, denn die Dunkelheit unter den Bäumen war dicht und undurchdringlich. Sie bewegten sich selbst wie Blinde, wobei Khardan Audas Arm festhielt, damit sie nicht voneinander getrennt wurden. Auda zählte halblaut seine Schritte, und sie eilten über die Pflastersteine, glitten zwischen den duftenden Bäumen daher, vorbei an den tanzenden Springbrunnen. Vierzig Schritte weiter erreichten sie einen Teil des Gartens, der weniger überwachsen war als der Rest. Als sie unter dem Laubdach hervortraten, konnten sie im roten Glühen des Himmels wieder mehr sehen und entdeckten das gesuchte Tor.
Der goldene Widderkopf auf dem Holz schimmerte gespenstisch. Khardan hatte das unbehagliche Gefühl, daß die Augen ihn feindselig beobachteten, doch als er vortrat, um das Tor aufzustoßen und einzutreten, hielt Auda ihn davon ab.
»Einen Augenblick«, sagte der Paladin.
»Was ist denn? Du warst es doch, der es nicht erwarten konnte hierherzukommen«, fauchte Khardan gereizt.
»Warte«, lautete ibn Jads ganze Antwort.
Zu Khardans Verwunderung sank der Schwarze Paladin vor dem goldenen Widderkopf auf die Knie, dessen Augen heller denn je zu leuchten schienen. Auda holte etwas aus seinen Kleidern, hielt es in der gereckten rechten Hand. Khardan sah, daß es ein schwarzer Medaillon war, mit dem silbernen Abbild einer durchtrennten Schlange darauf.
»Von diesem Augenblick an«, sagte Auda ibn Jad deutlich, »liegt mein Leben in deinen Händen, Zhakrin. Ich schreite voran, den Blutfluch zu erfüllen, der von dem sterbenden Catalus über diesen Mann namens Feisal verhängt wurde, der nicht nur danach strebte, uns unser Leben und die Freiheit unseres Volkes
Weitere Kostenlose Bücher