Die Rose von Angelâme (German Edition)
in Roses Kindheit zurücklag, und das sie im Laufe der Zeit verdrängt und schließlich vergessen hatte. Sie fand keine Antworten darauf.
Zurück in ihrer Zelle begann die Comtesse, die Geschehnisse jener längst vergangenen Tage zu überdenken, und schlief schließlich ein, ohne dass man ihr etwas zu essen gebracht hätte.
Rot!
Was um aller Heiligen willen hatte das zu bedeuten?
„Es wurde mir aufgetragen, das Gehörte nur den Vater wissen zu lassen“, sagte sie bei ihrem nächsten Verhör mit fester Stimme, und verschloss für die weiteren Verhandlungen eisern den Mund.
Der Sommer war schon weit ins Land gezogen, als man ihr eine schreckliche Nachricht überbrachte, die erste überhaupt, seitdem sie gefangen gesetzt worden war: die Burg Angelâme sei bis auf die Grundmauern abgebrannt.
Rose starrte den Richter fassungslos an, der ihr diese Nachricht ohne jegliche Gemütsregung vorgelesen hatte.
„Das glaube ich nicht“, sagte sie schließlich. „Das ist vermutlich eine neue Schikane, die Ihr Euch habt einfallen lassen!“
Der Richter funkelte sie zornig an, kam um den Tisch herum und schlug ihr auf den Mund. „Bezichtigst du mich etwa der Lüge?“
Rose antwortete nicht. Ihre Lippen waren aufgeplatzt und bluteten.
„Es heißt, ein Blitz sei aus heiterem Himmel herabgefahren und hätte das Anwesen derer von Angelâme in Brand gesteckt. Die Inquisition ist äußerst interessiert an dieser Sachlage.“ Er bedachte sie mit einem glühenden Blick und verschwand wieder hinter seinem Tisch. „Weißt du auch, wer den Blitz herbeigerufen hat?“
Die Inquisition? Rose erschauerte. Die Frage danach hatte sie überhört.
Der Richter machte eine Pause und schaute hinüber zu dem Pater, der seine Feder kratzend über ein Blatt Pergament zog. Wie viele Seiten mochte es inzwischen füllen, was diese Männer zu Protokoll gebracht hatten?
Der triumphierende Gesichtsausdruck des Richters indes verhehlte nicht, wie gelegen ihm dieser Vorfall kam.
„Deine Mutter!“, schleuderte er Rose ins Gesicht. „Sie ist vermutlich mit dem Teufel in die Hölle gefahren, der dem Blitz wie eine grüne Rauchfahne folgte!“
Während der Richter und die übrigen Anwesenden noch darüber diskutierten, wie das alles geschehen sein mochte, betete Rose heimlich darum, dass ihre Mutter ein rasches Ende gefunden haben möge. „Und was ist mit meinem Gemahl und meinem Kind?“, fragte sie.
„Darüber ist mir nichts bekannt“, gab der Richter in einer Weise Auskunft, die Rose an seiner Aussage zweifeln ließ. „Leider ist bei dem Brand eine Reliquie für immer verloren gegangen, die sich im Besitz deiner Mutter befand, und die ihr wohl für ihr Hexenwerk nützlich war“, fuhr er fort.
Rose horchte auf.
„Eine Reliquie?“
„Ein kostbares Grabtuch“, erklärte einer der Beisitzer wichtig. „Der Gehörnte und seine Buhle wollten offenbar, dass dieses unersetzbare Stück der Christenheit für immer verloren sei.“
„Seine Buhle?“
„Was sonst sollte deine Mutter gewesen sein?“
Rose versank in tiefes Nachdenken. Ihre Mutter hatte ein wertvolles Grabtuch besessen? Wessen Grabtuch denn?
Sie hörte nicht mehr zu, was um sie herum gesprochen wurde, und die Verhandlung kam kein Stück weiter.
Am Freitag, den 13. Oktober des Jahres 1307 entstand vor dem Gefängnis ein Tumult, den sich Rose in ihrer Zelle nicht erklären konnte. Sie hörte schwere Schritte im Gang, vernahm unterschiedliche männliche Stimmen, und frohlockte bei dem plötzlichen, irren Gedanken einer nahenden Befreiung. Sie fiel jedoch schnell wieder in ihre alte Hoffnungslosigkeit zurück, als sie erkannte, dass sie sich getäuscht hatte.
Es schien, als habe man eine große Zahl männlicher Gefangener eingeliefert, die von den üblichen Flüchen der Wächter begleitet in ihre Zellen geworfen wurden. Erstaunlicherweise verhielten sich die neuen Gefangenen jedoch ausgesprochen ruhig. Tobten doch die meisten Neuen stundenlang in ihren Zellen. Unliebsame Zeitgenossen, die man auf diese Weise aus dem Wege räumte.
Als Rose am kommenden Montag wieder zum Verhör geführt wurde, begegnete sie auf dem Weg dorthin einigen Wächtern, die einen halb toten Mann zwischen sich zu einer der Zellen schleiften, deren Tür offen stand. Rose sah, dass wenigstens fünf weitere Männer in dem engen, fensterlosen Raum saßen, die mit dicken Ketten an die Wände gefesselt waren. Die Wächter warfen den leblosen Körper zwischen die entsetzt dreinblickenden Gefangenen und
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