Die Rose von Asturien
war geflohen. Almas Kopf färbte sich so rot, als wolle er platzen, und sie brüllte das ganze Gesinde zusammen. »Wo ist dieser vermaledeite Waskonenbalg?«
Sie erntete jedoch nur erstaunte Blicke und Kopfschütteln. »Also, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich sagen, so etwas gibt es nicht«, erklärte Ramiro. GrafRoderich, der kurz nach seiner Gemahlin erschien, wirkte nicht weniger verwirrt als er.
»Wie kann das möglich sein?«, fragte Doña Urraxa. »Es ist doch nur ein kleines Mädchen!«
»Das war eine von den Bergwilden, und die sind zu allem fähig«, schimpfte Alma.
Graf Roderich winkte Ramiro heran. »Hol ein paar Leute zusammen und nimm die Hunde mit. Ich will, dass du diese Wildkatze wieder einfängst.«
Der Krieger nickte und verschwand.
Drei Tage später kehrte Ramiro mit seinen Männern zurück und musste bekennen, dass sie nicht die geringste Spur des entflohenen Mädchens entdeckt hatten. Sie waren bis an die Grenzen der Mark geritten, doch in die Gebiete der Waskonen hatten sie sich nicht vorgewagt. Auch wenn Okin von Askaiz den Treueid auf König Aurelio geleistet hatte, so verwettete keiner seiner Männer auch nur einen maurischen Dirhem darauf, dass der Waskone diesen Schwur halten würde.
Doch Graf Roderich schien dieser Bericht kaltzulassen. Ihn bewegten mittlerweile weitaus wichtigere Dinge. Boten hatten gemeldet, dass sich im Westen Asturiens maurische Sklaven erhoben hatten, die von Streifscharen von jenseits der Grenze unterstützt wurden. Augenscheinlich versuchte Abd ar-Rahman, der Emir von Córdoba, König Aurelios Herrschaft bereits im ersten Jahr seines Königtums zu erschüttern. Dagegen war die Flucht eines kleinen Mädchens eine Bagatelle.
Die meisten Burgbewohner hatten Maite schon bald vergessen. Nur gelegentlich schimpften Mütter mit ihren Kindern, dass sie ebenso wie das Waskonenmädchen von Wölfen und Bären gefressen würden, wenn sie weiterhin so frech blieben. Ermengilda erhielt als Ersatz für ihre entflohene Sklavin ein Mädchen aus dem Dorf als Leibmagd, welches die Ehrfurcht vor der Tochter des Herrn bereits mit der Muttermilchaufgesogen hatte und sich so geschickt anstellte, dass selbst Alma zufrieden war. Nur Ermengilda ärgerte sich gelegentlich über Eblas Ängstlichkeit und wünschte sich, sie hätte statt ihrer die kleine Waskonin anlernen können.
10.
M
aite rannte, bis glühende Messer ihre Seiten zu zerfetzen schienen. Dann erst bog sie vom Weg ab und suchte sich ein Versteck zwischen den Felsen. Dieser Ort böte ihr jedoch kaum Schutz vor den Hunden der Asturier. Daher quälte sie sich, sobald sie ein wenig zu Atem gekommen war, erneut auf die Beine und rannte weiter. Da die meisten Hunde Fährten im Wasser verloren, stieg sie in das tief eingeschnittene Bett eines Baches hinab und stapfte durch das kalte Nass. Ihre Füße wurden mit der Zeit taub, außerdem stolperte sie immer wieder und stürzte. Der grobe Wollkittel, den ihr die asturischen Mägde übergestreift hatten, sog sich voll Wasser und hing schwer von ihren Schultern herab. Mehr als ein Mal war sie kurz davor, den Bach zu verlassen und sich irgendwo zu verkriechen, doch jedes Mal trieb die Angst, von den Asturiern aufgegriffen und erneut verschleppt zu werden, sie weiter.
Zu ihrem Leidwesen floss der Bach nicht ostwärts auf ihre Heimat zu, sondern Richtung Norden, zum Meer. Dort lebten andere Waskonenstämme, mit denen ihre Leute nicht immer gut ausgekommen waren. Wenn diese sie erwischten, lief sie Gefahr, an den asturischen Grafen ausliefert zu werden, oder sie würden von ihrem Stamm etliche Schafe als Lösegeld verlangen. Maite wollte nicht, dass ihre Leute noch mehr Tiere verloren. Es ging ihnen schlecht genug, seit vor zwei Jahren etliche Schafe an einer Seuche eingegangen waren. Dabei machten diese Tiere den Reichtum eines Stammes aus undwaren deshalb begehrtes Diebesgut. Je mehr Schafe ein Anführer erbeuten konnte, umso mehr stieg sein Ansehen im Stamm selbst und bei den Nachbarn. Ihr Vater hatte alle anderen Waskonen und auch Asturier und Mauren darin übertroffen. Für Augenblicke glaubte Maite ihn vor sich zu sehen, wie er fröhlich pfeifend mit einer geraubten Herde in ihr Dorf einzog.
Erneut stolperte sie, stürzte diesmal in tieferes Wasser und ging unter. Sie schlug verzweifelt mit den Armen, um wieder an die Oberfläche zu gelangen, schluckte Wasser und geriet in Panik. Endlich gelang es ihr, einen Felsen zu ertasten und sich
Weitere Kostenlose Bücher