Die Rose von Asturien
dazwischen und rollte sich auf einem Polster aus Moos und Laub zusammen. Dann versuchte sie, ihre wirbelnden Gedanken einzufangen. Die Begegnungen mit dem Luchs wie mit den Mauren hatten ihr gezeigt, wie gefährlich es für sie war, allein durch das Land zu ziehen. Dabei hatte sie noch Glück gehabt. Statt der Raubkatze hätte es auch ein Bär oder ein Wolf sein können, und statt der Mauren jene Männer, die Graf Roderich gewiss hinter ihr hergeschickt hatte.
Sie versuchte herauszufinden, wie weit sie noch von ihrer Heimatentfernt war. Roderich und seine Männer hatten die Strecke in zwei Tagen hinter sich gebracht, und die Asturier waren stramm geritten. Wie lange sie brauchen würde, wusste sie nicht zu sagen. Da sie kein Reittier hatte, war sie auf ihre Beine angewiesen, außerdem musste sie Straßen und Wege meiden, um nicht auf Menschen zu treffen, die ihr gefährlich werden könnten. Ein weiteres Problem war der Hunger, der immer stärker in ihren Eingeweiden wühlte und schon bald alle anderen Gefühle verdrängte.
In einem Waldstück fand sie ein paar Beeren und Pilze, die sie roh verzehrte. Die Ausbeute vermochte jedoch nicht einmal ihren Magen zu beruhigen. Doch wenn sie nach Nahrung suchte, würde sie Zeit verlieren, und dies bedeutete, noch länger Angst vor Wölfen, Bären, Luchsen, Mauren und Asturiern haben zu müssen. Daher beschloss Maite, möglichst schnell weiterzugehen und sich mit dem Essbaren zu begnügen, das sie längs des Weges fand. Ihre Angst betäubte sie mit dem Gedanken, dass sie als Ikers Tochter dem Blut der alten Häuptlinge entstammte und Gott es sicher nicht zulassen würde, dass sie hier in den Bergen umkam.
11.
O
bwohl seit Graf Roderichs Erscheinen in Askaiz bereits etliche Tage vergangen waren, lag der Schatten des Asturiers wie ein erstickender Nebel über dem Dorf. Außer Iker waren ein gutes Dutzend Männer dem Feind zum Opfer gefallen. Daher hallten die Klagelaute ihrer Mütter, Frauen und Töchter noch immer von den Bergen wider. Außerdem belastete Maites Schicksal die Gemüter. Zwar hoffte Okin insgeheim, seine Nichte würde für immer bei den Asturiern bleiben, aber nach außen gab er sich tief betroffen. In Gesprächen mit den anderenMännern drohte er Graf Roderich blutige Rache an, sollte dem Mädchen etwas geschehen.
Auch an diesem Abend saß Okin wieder auf dem Dorfplatz und redete mit einigen Männern. Dabei beobachtete er eine Gruppe junger Burschen, die ihre Dolche schärften und Speerschäfte zurechtschnitten. Auch Asier, der damals seinen Posten verlassen hatte, um seinem Bruder zu helfen, wetzte die Klingen. Ihn bedrückte es am meisten, dass Graf Roderich unbehelligt in Askaiz hatte einreiten und Maite mitnehmen können.
Die Blicke, die er mit seinen Freunden wechselte, brachten Okin dazu, aufzustehen und zu ihm zu gehen. »Ich hoffe, ihr macht keinen Unsinn!«
Asier hatte nicht vergessen, dass der neue Häuptling ihn vor dem ganzen Dorf gescholten hatte, und gab aus Trotz keine Antwort. Dafür plusterte sich einer seiner Freunde auf. »Es ist kein Unsinn, Maite befreien zu wollen!«
Okins Miene gefror. »Schlagt euch das aus dem Kopf! Wir haben Graf Roderich den Treueid geleistet. Wenn wir unser Wort brechen, wird er uns streng bestrafen.«
»Du hast ihn geleistet, nicht wir! Dabei bist du nicht einmal unser richtiger Häuptling, sondern nur sein Vertreter, bis Maite sich einen Ehemann wählt.« Der junge Mann ließ keinen Zweifel daran, dass er Okins Autorität nur im beschränkten Maße anerkannte.
Es wird nicht leicht sein, diese Steinschädel zum Gehorsam zu zwingen, fuhr es Maites Onkel durch den Kopf. Doch wenn er zuließ, dass die Burschen zur Roderichsburg zogen und womöglich sogar mit der befreiten Maite zurückkehrten, würden sie sich überhaupt nichts mehr von ihm sagen lassen.
»Ihr bleibt hier! Es sind Mauren in der Gegend gesehen worden. Wollt ihr, dass unser Dorf schutzlos bleibt, nur weil ihr die Helden spielen müsst?«
Nun blickte Asier auf. »Wir gehen ja nicht alle, Okin, sondern nur zwei oder drei von uns. Aber wir dürfen Ikers Tochter nicht in den Händen der Feinde lassen.«
»Im Augenblick bleibt uns nichts anderes übrig. Unser Dorf hat durch Ikers Unbesonnenheit zu viele gute Krieger verloren. Fallen noch mehr von uns, wird Amets aus Guizora darauf drängen, das neue Stammesoberhaupt zu werden. Bis jetzt waren aber immer die Häuptlinge von Askaiz die Anführer des gesamten Stammes.«
Okins Worte stimmten
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