Die Rose von Asturien
auch in den Straßen Córdobas den Steinen und Dreckkugeln der Gassenjungen aussetzte. Als ihn ein scharfkantiger Stein am Ohr traf, schrie er auf. Der Schmerz half ihm jedoch, seinen Kleinmut abzuschütteln, und er schwor sich, alles zu tun, um zu überleben. Schließlich hatte er eine Aufgabe: Er musste Ermengilda aus der Gewalt der Mauren retten und mit ihr fliehen.
Die Frau, die ihn mehr beschäftigte als sein eigenes Schicksal, hatte die Plane um ihren Karren einen Spalt weit geöffnet und sah mit Tränen in den Augen zu, wie er unter dem Hagel kleiner Steine durch die Straßen wankte.
Maite hockte mit verbissener Miene neben ihr, ohne sich um das Geschehen um sie herum zu kümmern. Seit Saragossa hatte sie nicht mehr reiten dürfen, sondern ebenfalls Morgen für Morgen in den holpernden Karren steigen müssen. In den ersten Tagen hatte sie das Herumsitzen in dem engen, heißen Gefährt kaum gestört, denn ihre Gedanken kreisten ausschließlich darum, dass ihr Vater von seinem eigenen Schwager an die Asturier verraten worden war. Immer wieder streichelte sie das Heft ihres Dolches und stellte sich vor, Okin die Klinge zwischen die Rippen zu jagen oder ihm die Kehle durchzuschneiden. Da ihre Wut größer war als ihre Vorsicht, hatte sie unterwegs eifrig nach einer Gelegenheit gesucht, diesen brennenden Wunsch in die Tat umzusetzen. Doch die Mauren bewachten sie ebenso scharf wie Ermengilda und ließen sie nur vom Wagen ins Zelt und wieder vom Zelt in denWagen steigen. Daher hatte sie beschlossen, Okin an jenem Ort zu bestrafen, an dem er den Verrat begangen hatte, nämlich mitten in Askaiz und vor den Augen des ganzen Stammes.
»Die Mauren sind grausamer als wilde Tiere!«
Ermengildas Ausruf riss Maite aus ihrem Brüten, und sie starrte die Asturierin verärgert an. »Ich glaube nicht, dass deine Leute oder die meinen einen Feind besser behandeln würden.«
»So grausam verhalten sich die Asturier nicht! Diese Mauren aber sind elende Heiden, die Gott verderben möge!«
Zu Beginn ihrer Reise nach Córdoba hatte Ermengilda noch den Waskonen die Schuld am Überfall auf Rolands Heer gegeben, doch mit jeder Meile, die sie dem Süden näher brachte, war ihr Zorn auf die Mauren gewachsen. Sie mochte Konrad und war ihm zutiefst dankbar für ihre Rettung vor dem Bären. Daher schnitt es ihr ins Herz, zusehen zu müssen, wie er gequält und gedemütigt wurde.
Maite warf nun ebenfalls einen Blick auf Konrad und sagte sich, dass Fadl sich nur von seinem Rachedurst leiten ließ. Im Allgemeinen behandelten Mauren ihre Sklaven recht gut. Das konnte man an Ermo sehen, der zwar zu Fuß gehen und schmutzige Arbeiten verrichten musste, aber wohlgenährt wirkte und auch nicht geschlagen wurde. Konrad aber büßte für den Tod von Fadls Bruder mit wahrhaft höllischen Qualen, und Fadls Drohungen verhießen noch Schlimmeres.
Sie machte sich immer noch Vorwürfe, dass sie Konrad in diese Lage gebracht hatte. Wäre er unter den Klingen der Waskonen oder den Pfeilen der Mauren gefallen, hätte sie ihn als ihren Lebensretter und tapferen Mann betrauern können, der wie ein Krieger gestorben war. Nun aber endete er durch ihre Schuld als Sklave eines Mannes, der ihn zu Tode schinden wollte.
»Ich weiß wirklich nicht, weshalb das Schicksal es so übel mit mir meint. Wie auch immer ich mich entscheide, ist es falsch!«, brach es aus Maite heraus.
Ermengilda maß sie mit einem Blick, in dem zum ersten Mal seit Saragossa wieder Abneigung lag. »Was willst du denn? Du hast es doch gut! Während ich die Sklavin dieses unsäglichen Heiden werden und allen Schimpf ertragen muss, der einer Frau angetan werden kann, wirst du frei und glücklich in deine Heimat zurückkehren und dein früheres Leben wieder aufnehmen.«
Erst in diesem Moment begri? Maite, dass kein gütiges Schicksal auf Ermengilda wartete. Die Asturierin hegte einen zu großen Hass auf die Menschen im Maurenland, um sich einfügen und mit dem Leben hier zufrieden sein zu können. Dennoch sah Maite keinen Unterschied darin, ob ein vom Vater ausgesuchter Ehemann leibliche Dienste von einer Frau forderte oder ein Maure, dem diese als Beute zugefallen war.
Sie ließ sich diesen Gedanken durch den Kopf gehen und verneinte ihn dann. Natürlich war es etwas anderes, mit einem Mann verheiratet zu sein und dessen Leben zu teilen, als in einem Harem eingesperrt zu werden und darauf zu warten, dass man von seinem Herrn gerufen wurde, der sich nur der Weiblichkeit bedienen
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