Die Rose von Asturien
beschränkt. Auch König Karls engste Vasallen werden so bezeichnet. Eneko verwendet ihn nur, um mit den Abgesandten der Franken von Gleich zu Gleich verhandeln zu können. Oder sollen sie ihn etwa für einen Bauern halten und über ihn lachen?«
Maite wusste jedoch, dass er log. Der Titel bedeutete Eneko weit mehr als eine leere Hülse bei Verhandlungen. Seit bekanntwar, dass die Franken über die Pyrenäen kommen würden, hatte sich der Wind in den Bergen gedreht. Dafür war Okin das beste Beispiel. Er verbreitete, der Stamm brauche einen erfahrenen Häuptling wie ihn, um den drohenden Sturm überstehen zu können. Doch trotz aller Bemühungen war es ihm nicht gelungen, die Menschen von Askaiz davon zu überzeugen, ihm als anerkanntem Häuptling zu folgen.
Das wusste Okin ebenso gut wie seine Nichte. Er trat auf das Mädchen zu, ohne den Fehler zu begehen, die Hand nach ihr auszustrecken, und rang sich ein Lächeln ab. »Denke in Ruhe über alles nach, und dann wirst du sehen, dass unser Gast und ich recht haben. Du hast Ermengilda jetzt mehrere Monde als Sklavin besessen, doch damit sollte nun Schluss sein. Wenn du die drei jungen Maurinnen nimmst, die Graf Eneko dir anbietet, hättest du sechs Hände, die willig für dich arbeiten, gegen zwei eingetauscht, die sich sträuben.«
So unrecht hatte ihr Onkel nicht, das war Maite klar. Selbst die langen Wochen ihrer Gefangenschaft hatten Ermengilda bisher nicht dazu bewegen können, ihr so zu dienen, wie es sich für eine Sklavin gehörte. Nie vergaß sie ihren Stolz und wirkte selbst in Lumpen wie eine Edeldame. Maite hätte ihr Anerkennung zollen können. Doch ihr stand immer noch das Bild vor Augen, wie Graf Roderich ihren toten Vater wie einen erlegten Hirsch ins Dorf gebracht und ihn gedemütigt hatte, und sie erinnerte sich nur allzu gut an die Schläge, die sie in der asturischen Burg erhalten hatte. Daher biss sie die Zähne zusammen und schüttelte den Kopf. Ermengilda war keine beliebige Sklavin für sie, sondern das Symbol ihrer Rache.
Da sie es Okin durchaus zutraute, ihr die Gefangene mit Gewalt wegzunehmen, tat sie so, als sei sie unsicher geworden, und wandte sich dann zur Tür. »Ich werde mir alles durch den Kopf gehen lassen und euch meine Entscheidung morgen mitteilen.«
Sie sah, wie die beiden Männer aufatmeten. Anscheinend glaubten sie, sich durchgesetzt zu haben. Maite gedachte, ihnen einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen.
4.
S
o lange wie an diesem Tag hatte Maite ihre Gefangene noch nie allein gelassen. Und Ermengilda hoffte, dass die Waskonin noch länger ausblieb, denn sie war kurz davor, den geflochtenen Strick aus zähem Rindsleder, mit dem sie angebunden war, ganz durchzukauen. Die Wolle, die sie zu Garn hätte spinnen sollen, würdigte sie keines Blickes.
»Oh Himmel, schenke mir nur noch ein wenig Zeit!« Der Klang ihrer eigenen Stimme erschreckte Ermengilda, und sie ärgerte sich über sich selbst, denn solange sie redete, konnte sie nicht in das Leder beißen. Mit einem Messer oder einem anderen scharfen Gegenstand hätte sie es schneller geschafft doch Maite hatte den Strick, mit dem sie wie eine Ziege festgebunden war, so bemessen, dass sie nur ein paar Schritte gehen konnte und sich nichts in Reichweite fand, das ihr zur Flucht hätte verhelfen können.
Seit sie Maite in die Hände gefallen war, dachte Ermengilda unentwegt an Flucht. Was die Waskonin als achtjähriges Mädchen geschafft hatte, müsste doch auch ihr gelingen. Mit diesem Gedanken biss sie erneut in den Strick und jubelte auf, als der zweite der drei verflochtenen Riemen nachgab. Mit neuem Eifer kaute sie auf dem restlichen Leder herum, doch gerade, als sie hoffte, den letzten Riemen bald durchtrennt zu haben, öffnete sich die Tür und wurde dann so wütend zugeschlagen, dass es durch das ganze Haus hallte.
Rasch versteckte Ermengilda den angebissenen Teil des Stricks hinter ihrem Rücken und tat so, als starre sie stumpfsinnigvor sich. Maite stürmte mit dem Ausdruck heftigsten Zornes herein, sah auf die unberührte Wolle und blieb mit geballten Fäusten vor Ermengilda stehen. »Du hast schon wieder nichts von dem getan, was ich dir aufgetragen habe, du faules Stück!«
Ermengilda senkte den Kopf. Sie hatte während der letzten Wochen Dinge tun müssen, die einer Dame aus Asturien nicht angemessen waren, war aber nicht gerade fleißig gewesen. Eine andere Sklavin wäre wohl jeden Tag von Maite gezüchtigt worden. Doch nach den heftigen
Weitere Kostenlose Bücher