Die Rose von Asturien
hatten den Blick auf die angenagte Stelle des ledernen Stricks freigegeben.
»Sieh an! Das Täubchen wollte wegfliegen, während ich unterwegs war. Aber daraus wird nichts!« Sie hielt Ermengilda mit dem Kurzschwert in Schach und band ihr einen anderen Strick um die Taille.
Ermengilda stiegen die Tränen in die Augen, und sie fragte sich, warum das Waskonenmädchen sie so hasste. Mehrmals schon hatte sie Maite gebeten, sie zu ihrer Familie zurückkehren zu lassen, und ihr versichert, dass ihr Vater ihr Schafe undGeld dafür geben würde. Ihrer Ansicht nach hätte Maite das Lösegeld gut gebrauchen können. Obwohl die Waskonin eine Häuptlingstochter war und als Erbin ihres Vaters galt, war sie in Wirklichkeit bitterarm. Ihr Onkel Okin hatte Ikers Herden, den Inhalt seiner Truhen und fast alles bewegliche Gut an sich genommen und dachte nicht daran, Maite auch nur einen kleinen Teil davon zurückzugeben.
»Los jetzt!« Maites Stimme klang scharf, und als die Asturierin nicht gleich gehorchte, schlug sie ihr mit einer dünnen Gerte auf die nackten Beine.
Ermengilda öffnete die Tür und trat ins Freie. Dabei hoffte sie, irgendjemand würde sie aufhalten. Doch der Platz vor dem Haus war leer.
Maite führte ihre Gefangene an den Ställen vorbei zu der primitiven Umwallung, die Askaiz umgab. Hier hatten die Bewohner zusätzlich zum Hauptausgang einen Übergang gebaut, durch den man das Dorf unbemerkt verlassen konnte. Außerhalb der Umzäunung wählte Maite einen Pfad, den der Wächter des Dorfes, der ein Stück weiter auf einer Anhöhe saß und angespannt in die Ferne spähte, nicht einsehen konnte.
Schon bald waren die Häuser des Dorfes hinter ihnen zurückgeblieben, und die beiden Mädchen tauchten in das dunkel schimmernde Grün des Bergwalds ein. Es ging stetig bergauf, und Ermengilda fragte sich mit wachsender Sorge, wohin Maite sie bringen würde.
5.
O
kin traute seiner Nichte zu, mit dem Kopf durch Steinwände zu gehen, aber dass sie so verrückt sein würde, allein mit ihrer Gefangenen in die Berge zu fliehen, hätte auch er nicht geglaubt. Als Asier ihm die Nachricht überbrachte, blieb ihmzuerst die Sprache weg. Dann fluchte er unflätig und fragte dann voller Wut: »Warum habt ihr Narren sie nicht aufgehalten?«
Asier hob hilflos die Hände. »Keiner hat gesehen, wie sie mit der Asturierin das Dorf verlassen hat. Doch als meine Mutter vorhin nach Maite schauen wollte, fand sie das Haus leer, und es fehlten Sachen. Alles deutet darauf hin, dass Ikers Tochter einige Zeit wegbleiben will.«
»Verdammtes Weibsstück! Hat nur Haare auf dem Kopf, aber keinen Verstand darin«, tobte Okin, packte Asier dann und schüttelte ihn. »Wer hatte Wache?«
»Danel! Aber auch er hat nichts bemerkt.«
»Oder er wollte nichts bemerken!« Okin schnaubte wie ein gereizter Ochse. Danel und Asier gehörten zu den jungen Männern im Dorf, die eher zu seiner Nichte als zu ihm hielten. Vielleicht hatten sie ihr sogar geholfen, Ermengilda wegzubringen. Nun stand er vor dem ganzen Stamm als Dummkopf da und, was noch schwerer wog, würde bei Eneko sein Gesicht verlieren.
Asier entwand sich dem viel älteren Mann mit einer mühelosen Drehung. »Mein Bruder hat gut gewacht, doch Maite kennt hier jeden Weg und Steg. Sie weiß, wie man den Wachtposten umgehen kann!«
Okin brauchte niemand zu sagen, wie geschickt seine Nichte war. Doch diesmal, so schwor er sich, war sie zu weit gegangen. Doch schließlich flaute sein Zorn ab, als er begriff, wie er diese Situation zu seinen Gunsten nutzen und Maites Einfluss im Stamm endgültig untergraben konnte. Daher zwang er sich zu einem Lächeln.
»Ich mache weder dir noch Danel einen Vorwurf, denn das kleine Biest ist wirklich durchtrieben. Wir dürfen Maite jedoch nicht alles durchgehen lassen. Ermengilda ist eine zu wertvolle Geisel, als dass ihr etwas zustoßen dürfte. Sobald ihrVater, Graf Roderich, aus Galizien zurückkommt, wird er eher gegen uns Krieg führen als zuzulassen, dass seine Tochter unsere Gefangene bleibt. Außerdem ist sie die Braut eines hohen fränkischen Edelmanns. Du kannst dir vorstellen, was mit uns geschieht, wenn König Karl mit seinem Riesenheer erscheint und das Mädchen ihm nicht rechtzeitig übergeben wird. Die Franken werden Askaiz niederbrennen, mich, dich und die anderen Männer erschlagen und unsere Weiber und Kinder in die Sklaverei verschleppen. Verstehst du jetzt, weshalb ich vor Sorge außer mir bin?«
Asier nickte bedrückt. »Ich hätte
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