Die Rose von Asturien
Stadt entkommen. Immer wieder ging sie in Erinnerungen ihre Flucht aus Roderichs Burg durch. Damals war sie halb so alt gewesen wie jetzt und dazu blutig geschlagen. Was sie als kleines Kind fertiggebracht hatte, musste ihr hier doch ebenfalls gelingen.
Ungewohnter Lärm drang herein und schreckte Maite aus ihrem Grübeln. Sie sah hinaus und stellte fest, dass die männlichen Geiseln auf den Hof gelassen worden waren und sich nun paarweise im Ringen übten. Dabei tranken sie Wein aus großen Bechern und benahmen sich bald so ausgelassen, dass sie sämtliche Regeln missachteten. Schließlich beschimpften sie einander wüst, und innerhalb kürzester Zeit entspann sich eine wilde Rauferei.
»He! Kommt her! Hier könnt ihr was sehen!«, rief Maite den anderen zu.
»Was ist denn los?« Eines der Mädchen trat eher gelangweilt an ihre Seite und stieß nach einem kurzen Blick auf die sich blutig prügelnden jungen Männer einen empörten Ruf aus.
»Dieser elende Eneko schlägt meinen Bruder. Der Bär soll ihn fressen!«
Jetzt drängten sich auch die anderen ans Fenster und schoben Maite kurzerhand beiseite. Mit schrillen Rufen feuerten sie ihre jeweiligen Verwandten an, doch schon bald beschimpften sie einander und wurden ebenfalls handgreiflich.
Maite verbarg ihr Lächeln, trat an die Tür und schlug heftig dagegen. Eine Magd warf einen Blick herein, prallte angesichts der keifenden und prügelnden Mädchen im nächsten Moment zurück und rief nach dem Eunuchen. Maite wartete neben der Tür, bis der Mann erschien und sich dem verzweifelten Ruf, doch bitte aufzuhören, unter die Mädchen mischte. Da er allein nicht mit ihnen zu Rande kam, befahl er der Magd, ihm zu helfen. Diese kam hinzu, packte eines der Mädchen am Arm und versuchte, es von seiner Gegnerin wegzuzerren.
Als die Magd und der Eunuch im Gewühl verstrickt waren und auf nichts anderes achteten, nahm Maite die Einladung der offenen Tür dankbar an. Auf ihrem weiteren Weg kam ihr die strikte Trennung zwischen den Frauengemächern und den übrigen Räumen zugute, denn sie traf auf kein einziges männliches Wesen. Nur einmal musste sie einer Gruppe Mägde ausweichen, die die Treppe hinaufstürzten, um dem Eunuchen beizustehen. Dessen Schreie klangen nun so, als hätten die weiblichen Geiseln ihn als Opfer auserkoren.
Maite rannte zu den Räumen, in denen die Mägde schliefen, und nahm sich neben anderer Kleidung auch einen langen Umhang aus festem Stoff. Als sie mit einem Korb am Arm, der ihre eigene Kleidung enthielt, den Harem verließ, musste jeder,der ihr begegnete, sie für eine Bedienstete des Palastes halten, die einen Auftrag zu erfüllen hatte.
Zufrieden mit dem Streich, den sie ihren Bewachern gespielt hatte, spazierte Maite aus der Stadt, ohne von den Torwachen aufgehalten zu werden. In einem Waldstück zog sie sich wieder um, rollte den Umhang zusammen, um ihn als Decke zu verwenden, und machte sich in ihrer gewohnten Kleidung auf den Weg zu dem Versteck, in dem sie Ermengilda zurückgelassen hatte.
5.
D
er Reiterzug gleicht einem gepanzerten Wurm, fuhr es Konrad durch den Kopf, einem Lindwurm, der sich unaufhaltsam durch das Land wälzt. Obwohl es sich nur um die von Roland befehligte Vorhut des Heerbanns von Neustrien handelte, konnte er sich nicht vorstellen, dass jemand dieser Armee Widerstand zu leisten vermochte. Die Menschen, durch deren Land sie ritten, waren gewiss nicht dazu in der Lage. Es waren Gascogner, die sich immer wieder gegen die fränkischen Könige aufgelehnt hatten, was die Herzöge Waifar und Hunold mit dem Leben hatten bezahlen müssen. Zwar hatte Karl nun Hunolds Neffe Lupus als Herzog von Aquitanien eingesetzt, aber dessen Macht deutlich beschnitten, indem er fränkische Grafen die einzelnen Gaue des Landes verwalten ließ.
Trotz der demütigenden Behandlung, die ihm durch Eward und sein Gefolge zuteilwurde, war Konrad stolz, zu König Karls Panzerreitern zu zählen. Nicht einmal seinem Vater war es gelungen, in die fränkische Kernschar aufgenommen zu werden. Arnulf vom Birkenhof hatte die Feldzüge des Königs nur als Anführer seines Aufgebots und in späteren Jahren alsStellvertreter des Gaugrafen mitgemacht. Er aber, Konrad, durfte mit dem Markgrafen von Cenomanien reiten.
Sein Blick wanderte nach vorne zu Roland, der auf einem mächtigen Fuchshengst saß. Rot schien die Farbe des Markgrafen zu sein. Von seinen Schultern flatterte ein roter Umhang. Seine Tunika, die unter dem Panzerhemd hervorlugte,
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