Die Rose von Byzanz
dem nächsten Tag. Angst vor dem dritten Schachspiel. Angst vor Andronikos’ Sieg. In ihr war kein Platz für andere Gedanken. Kein Platz für Hoffnung. Und sie ahnte, dass auch dies Teil seines Spiels war, das er mit ihnen spielte. Er beherrschte nicht nur das Schachspiel, sondern auch das Spiel mit den Gefühlen, den Hoffnungen und Ängsten. Sie waren ihm in die Falle gegangen, und nun stand sie Rücken an Rücken mit Irene und Eirik und gab sich der absurden Zuversicht hin, alles könnte gut ausgehen.
Dabei war dies sein liebstes Spiel.
Sie hörte es im Halbschlaf. Der Riegel glitt zurück, ein Schlüssel knirschte im Schloss. Leise Schritte, die sich ihrem Bett näherten, die Tür knallte zu. Stille.
Sie machte sich ganz klein. Atmete nicht.
Er war doch gekommen. Erst hatte er mit seiner Schwester das Bett geteilt. Jetzt kam er zu ihr.
Sie glaubte zu hören, wie er eine Fackel aus der Halterung zog. In ihrem Bauch ballte sich schmerzhaft die Angst. Ihre Hand zuckte, Kettenglieder klirrten.
„Johanna.“
Eirik.
Ihre Anspannung löste sich. Erleichtert brach sie in Tränen aus. Durch ihre geschlossenen Lider quollen sie hervor, rannen über ihr Gesicht.
Seine Hände waren da. Sie spürte das Raue seiner Handflächen, das Zärtliche seiner Bewegungen. Die Hand, mit der er sonst sein Schwert schwang, streichelte die Tränen von ihren Wangen. Sie schluchzte, verschluckte sich an ihren Tränen und traute sich endlich, die Augen zu öffnen.
Du bist da. Du rettest mich.
Seine dunklen Augen. Sie ertrank darin.
Er umfing ihr Gesicht mit beiden Händen. Seine Stimme war eindringlich. „Hör mir genau zu. Ich kann dich heute Nacht nicht befreien. Ich wollte es, ich hatte es vor, aber er hat sich den Schlüssel zu deinen Fesseln geben lassen, ich bekomme sie nicht, es sei denn, ich schlüge ihn tot.“
Dann mach es doch. Schlag ihn tot, damit ich leben kann.
Seine Daumen fingen ihre Tränen auf.
„Aber heute Nacht bleibe ich bei dir. Ich lasse dich nicht allein.“ Sein Blick ging zur Tür. „Die Wachen haben unter mir gedient, sie sind mir treu, solange ich ihm nicht ans Leben will. Darum durfte ich herkommen. Ich wärme dich heute Nacht.“
„Wärme mich nicht nur.“ Ihre Stimme war ein raues Wispern.
Er lachte. Sie weinte.
Dann küssten sie sich.
Der Kuss schmeckte nach dem Salz ihrer Tränen, aber sie schmeckte auch ihn, und sein Geschmack war süß wie Honig und rauchig. Sie hob ihren Oberkörper, rieb sich an ihm, doch er trug seinen Lederpanzer, Teil seiner Uniform als Warägeroffizier. „Warte“, flüsterte er.
Sie wollte nicht warten, doch nickte sie nur stumm.
Vor ihren Augen entkleidete er sich rasch. Den Lederpanzer, die Tunika, Beinkleider, Stiefel. Das Schwert, das er umgegürtet hatte. Er zog einen Dolch aus dem Stiefel, legte ihn behutsam auf den Kleiderhaufen, als wollte er sichergehen, nicht unbewaffnet zu sein. Falls jemand kam.
„Wir sind in Sicherheit“, versprach er ihr, weil er ihren Blick richtig deutete.
Aber du bist dir da nicht sicher, stimmt’s?
Sie wollte sich trotzdem in dieser Sicherheit wiegen wie in seinen Armen.
Dann legte er sich neben sie. Er zog die Decke über ihren frierenden kalten Körper, barg sie in seinen Armen und hielt sie einfach, wie er sie auch letzte Nacht stundenlang gehalten hatte. Eine Hand glitt zu ihren hinauf, sie riss an den Fesseln, doch beruhigte er sie, damit sie sich nicht wund scheuerte.
„Schhh“, machte er. „Ganz ruhig.“
So hatte es begonnen, vor gar nicht allzu langer Zeit. So war es bei ihrer ersten Begegnung gewesen. Damals hatte sie ihn gehasst, weil er ihre Fesseln löste, sie aber zugleich mit seinen geschickten Fingern an sich band, dass er ihre Flucht vereitelte. Diesmal war es so anders. Sie war in seinen Armen geborgen. Ohne ihn wäre sie verloren.
Sie schmiegte sich an ihn. Ihr Kleid störte sie, und sie wünschte, er zöge es ihr endlich aus. Sie wollte nackt für ihn sein. So hilflos sie auch war, sie wollte das hier. Wie sehr sie sich danach sehnte, ihre Hände in seinem weichen Haar zu vergraben, die Finger in seinen festen Po zu krallen oder die Linien der modellierten, harten Muskeln unter seiner Haut nachzuzeichnen! Aber all das blieb ihr in dieser Nacht verwehrt. Sie war auf ihre anderen Sinne angewiesen. Darauf, was ihr Körper spürte und nicht ihre Hände.
Sie legte sich auf den Rücken, als er sich aufrichtete. Die Ketten klirrten, sie hielt den Atem an. Seine Finger lösten die Fibeln, er
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