Die Rose von Byzanz
im Mantel, blickte ihn nicht an noch reagierte sie, als er ein letztes Mal versuchte, mit Worten zu ihr durchzudringen.
Er wusste nicht, wie viel sie gesehen hatte.
Sie hatte mit angesehen, wie er die Nordmänner gegen Warägersoldaten verteidigte. Wie er tötete. Vielleicht war das für sie zu viel gewesen. Der Mann, dem sie Vertrauen schenkte, dem sie ihre Liebe schenkte, mordete. Er war nicht anders als die Nordmänner, die sie aus ihrem Dorf geraubt hatten. Zwar hatte sie ihm nicht viel davon erzählt, doch hatte er sich einiges zusammengereimt. Sie beherrschte wenige Worte seiner Sprache. Sie hatte vor jedem Nordmann zunächst eine – oftmals – unbegründete Angst. Sie fühlte sich anfangs zwischen ihrer Liebe zu ihm und ihrem Hass auf die Nordmänner zerrissen.
Und nun war auch dieses zarte Band der Liebe zerfetzt. Sie hatte zu viel gesehen.
Er wandte sich abrupt ab. Jetzt war keine Zeit, um über das verletzte Gemüt einer Frau nachzudenken. Es galt, Tote zu bestatten und das Drachenboot bei Tagesanbruch für die Weiterfahrt flottzumachen. Der Verlust zweier Männer und die Verletzungen so manch anderer stellten sie vor Probleme, die größer waren als das Schweigen eines Weibs. So würde es Oluf sehen, und so musste Eirik es jetzt auch sehen, wenn sie nicht an diesem Strand festsitzen wollten, bis es auch für die Verletzten keine Rettung mehr gab.
Um Johanna wollte er sich kümmern. Wenn Zeit war.
12. KAPITEL
Freya Sigurdsdottir wusste um ihre Schönheit. Dennoch glitt ihr Blick ein letztes Mal prüfend über ihr Spiegelbild, ehe sie den Bronzespiegel behutsam auf die Truhe legte.
Es war wichtig, dass sie heute gut aussah. Mehr als das: Sie musste strahlen, musste leuchten! Nichts durfte daran erinnern, dass sie daheim einen kranken Mann pflegte und die Sorgen ihr beständig schwer auf das Haupt drückten. Ein letztes Mal fuhren ihre Finger prüfend über die Haare – sie hatte auf die Haube verzichtet und das Haar geflochten und hochgesteckt. So gefiel es ihr besser. Es wirkte mehr wie das Haar einer Jungfer. Nicht wie das einer Frau, die seit über fünf Jahren mit dem besten Freund des Mannes verheiratet war, der heute in Kiew ankommen würde.
Willkommen daheim, Eirik Hallgrimsson. Ich wusste, dass du irgendwann zu mir zurückkehrst.
Sie lächelte.
„Freya?“
Ihr Lächeln schwand.
„Ich bin sofort bei dir, Hallgrim.“
Sie strich ein letztes Mal über ihr bestes Alltagskleid – sie wollte nicht den Anschein erwecken, Eirik erwartet und sich seinetwegen herausgeputzt zu haben –, befand die blaue Webchenborte als wunderhübsch und eilte aus ihrer Schlafkammer. Auf der anderen Seite des Flurs lag die doppelt so große Kammer, in der seit über einem halben Jahr ihr Mann krank lag und auf seinen Tod wartete.
Warum ein so stolzer Krieger wie Hallgrim Ragnarsson so lange brauchte, bis er endlich starb, war ihr ein Rätsel.
„Was ist los?“
„Gehst du zum Hafen?“
Sie zögerte. Sollte sie ihm die Wahrheit sagen, dass sie es tatsächlich vorhatte? Oder wäre es besser, es ihm zu verschweigen?
„Ich wollte zum Markt und einige Dinge einkaufen. Astrid hat zuletzt nicht gut verhandelt, ich kann nicht glauben, dass sie für Gerste so horrende Preise verlangen.“
Hallgrim lächelte schwach. „Du warst noch nie eine sonderlich begabte Lügnerin, Freya Sigurdsdottir. Dich zieht’s zum Hafen. Du willst wissen, ob die Gerüchte stimmen. Ob Eirik Hallgrimsson mit dem Boot meines Bruders herkommt.“
Sie schwieg.
„Geh nur. Geh und sag ihm, er ist in unserem Haus so lange willkommen, wie er zu bleiben beliebt. Der Winter steht vor der Tür, Oluf wird dieses Jahr nicht mehr bis nach Svea reisen können. Biete auch ihm und seinen Männern einen warmen Platz in unserer Halle.“
Freya wollte protestieren. Ein Dutzend Männer, die sie im Winter durchfüttern sollten? Wie stellte Hallgrim sich das vor? Wusste er nicht, wie viel zusätzliche Arbeit das für sie und ihre Mägde bedeutete?
„Geh zu Valdimar, er weiß bestimmt, ob es ein Mädchen in Kiew gibt, das noch eine Anstellung sucht. Du sollst dir nicht die schönen Hände kaputtarbeiten, meine Schöne.“
Wie so oft erriet er ihre Gedanken. Tränen stiegen in Freyas Augen. Sie blinzelte hastig. Das wäre ja noch schöner, wenn sie verheult am Pier stand und Eirik begrüßte! Aber Hallgrim war so gut zu ihr, und sie hegte immer wieder diese bösen Gedanken, die sich um seinen baldigen Tod drehten, den sie manche Nacht kaum
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