Die Rose von Darjeeling - Roman
Sommer in Brighton an der Nordsee verbringen zu dürfen.«
Ihr Mann hatte sich hinter einer Zeitung verschanzt. Die Schlagzeilen kündeten davon, dass Gandhi bei einem aufsehenerregenden Fußmarsch durch Indien zur Küste immer mehr Anhänger gefunden und erst wenige Tage zuvor das Salzmonopol der Briten gebrochen hatte. Ein Foto zeigte, wie er am Strand einfach eine Handvoll Meersalz griff und an sich nahm. Ein Akt von großer symbolischer Bedeutung.
»Glaubst du, das wird was mit der indischen Unabhängigkeit?«, fragte Carl.
»Ist nur eine Frage der Zeit«, meinte Gustav. »Aber ob es mit gewaltlosem Widerstand geht, wie Gandhi predigt, das wage ich zu bezweifeln.«
»Die Engländer sorgen hier für Recht und Ordnung«, überlegte Carl. »Na ja«, korrigierte er sich gleich darauf, »was heißt schon Recht? Sie beuten natürlich auch das Land zu ihrem eigenen Vorteil aus.«
»Niemand kann sagen, was bei einem politischen Umbruch aus den Teeplantagen wird. Ich will einfach ohne Komplikationen meinen Tee importieren können.«
Nach knapp drei Viertel der Strecke erblickten sie die ersten Teegärten – weite grüne, gepflegte Pflanzungen über sanft geschwungenen Hügeln. Hier und da patrouillierten Aufseher. Die Trampelpfade zwischen den Teesträuchern wirkten aus der Ferne, als hätte ein Riese seinen Kamm kurvenreich durch das Grün gezogen. Dazwischen sah man Pflückerinnen mit dicken bunten Pullovern und geflochtenen Körben auf dem Rücken.
»Früher war hier überall üppiger Laubwald«, erklärte Gustav mit ausladender Geste. »Ist abgeholzt worden, nachdem die Engländer vor knapp hundert Jahren auf die Idee kamen, hier chinesische Teepflanzen zu kultivieren.«
Längst kannte sein Freund die Geschichte. »Jaja«, grinste er, »die camellia sinensis, später gekreuzt mit wilden Assam-Teesträuchern«.
Das Ergebnis hatte Teekenner in aller Welt begeistert. Wegen des Klimas und der hohen Lage gedieh der Tee hier zwar langsamer als an anderen Orten, sein Flavour war dafür jedoch besonders ausgeprägt. Auch die über der Tasse schwebende Duftnote, nicht nur der Geschmack des Tees selbst wurde beurteilt. Beides zusammen erzielte Höchstpreise.
Zu jeder Plantage gehörte offenbar ein zweigeschossiges Haus oder ein Bungalow für den Besitzer oder Verwalter. Zum Eingangsportal führten immer Stufen, auf denen rechts und links Topfblumen in allen Blau-, Violett- und Dunkelrottönen leuchteten.
»Siehst du die Blumenpracht? Wie interessant!«, staunte Carl, der als Sohn einer Baumschuldynastie einen Blick für die Flora hatte. »Das hätte ich nicht erwartet.«
»Du müsstest es doch wissen: Wo die Engländer sind, ist Gartenkultur! Übrigens, unser Gastgeber, Mr Whitewater, soll eine erwachsene Tochter haben …«
»Hoffentlich ist sie nicht spitznäsig und hässlich. Oder dumm.«
»Oder zu schlau.«
Mit einem heftigen Fußtritt wurde die Abteiltür aufgestoßen. Ein junger Inder mit kurzer schwarzer Weste über einem langen weißen Hemd und einer weißen Hose stellte sich mitten in den Gang. Seine schwarzen Augen glühten, während er eine flammende Rede hielt. Carl und Gustav verstanden die Sprache nicht, vielleicht war es Hindustani. Die Mitreisenden reagierten unruhig.
Es folgte eine Kurzfassung auf Englisch. »Ich bin Mitglied der Kongresspartei. Und ich fordere alle Inder auf, sich dem passiven Widerstand gegen die Kolonialmacht anzuschließen! Unterstützt Gandhi! Jede indische Familie sollte einen Webstuhl besitzen und sich ihre Stoffe selbst weben. Holt euch das Salz aus dem indischen Ozean. Macht euch unabhängig vom britischen Monopol! Es ist nicht recht, dass die Europäer uns in unserem eigenen Land vorschreiben, wir dürften nur bei ihnen Kleidung oder Salz kaufen. Verweigert den Behörden eure Mitarbeit! Indien den Indern!«
Ein britischer Offizier lief rot an. »Unerhört, wieso stoppt niemand diese undankbare Kreatur! Nehmt ihn fest!«
Der junge Inder lachte nur verächtlich, verließ das Abteil so schnell, wie er gekommen war, und sprang vom Zug. Ein aufgeregter Meinungsaustausch hob an, einige Reisende schwiegen aber auch betreten, andere wandten sich gelassen wieder ihrer Lektüre zu.
Carl und Gustav zogen sich in den hinteren Teil des Zuges auf die überdachten Freiluftstehplätze zurück. Hier konnten sie in Ruhe reden.
Carl sog die frische Luft ein. »Welche Wohltat nach der stickigen Schwüle im Tal!«
Immer wieder kreuzte der Zug die Straße, auf der sich Autos oder
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