Die Rose von Darjeeling - Roman
Kerle, aus deren Augen die Abenteuerlust nur so blitzte! Ihre Blicke kreuzten sich, innerhalb von Sekunden war klar, was alle drei dachten: Das ist besser als erwartet, wir werden viel Spaß miteinander haben! Kathryn beschlich dazu noch ein anderes Gefühl. Etwas in ihr wisperte: Dein Leben beginnt – das, worauf du immer gewartet hast, ohne genau zu wissen, was es sein könnte, ist soeben eingetroffen! Sie schluckte, kurz senkte sie den Blick, versuchte, ihre Aufregung im Zaum zu halten. Dann atmete sie tief durch.
Der Verwalter Mr Brooks, ein höflicher Mann mit schwarzem Haar, übergab ihrem Vater die weißen Schals für die Begrüßungszeremonie. Feierlich legte Aldous Whitewater jedem Gast einen Schal um den Hals.
»Namaste! Welcome! Willkommen!«
Die beiden Männer verneigten sich und hoben dabei, so viel wussten sie bereits über die Landessitte, die zusammengelegten Hände vor die Brust. Der Chor der Frauen aus dem Dorf, das zur Plantage gehörte, stimmte ein Begrüßungslied an. Es wurde begleitet von rhythmischem Klatschen, den blechernen Klängen eines Saiteninstruments und melodischen, chinesisch inspirierten Flötentönen. Carl war gerührt, Gustav in Hochstimmung. Alle strahlten, auch Kathryn. Immer wieder faszinierte es sie, wie naiv und selbstlos die Freude dieser hart arbeitenden Menschen sein konnte. Jetzt kam ihr Vater auf sie zu und stellte sie den Gästen vor.
»Carl Jonas, sehr angenehm«, sagte der Braunhaarige auf Deutsch, als er Kathryn die Hand reichte.
Er hatte eine große, etwas schiefe Nase, seine Stimme klang warm, tief, vertrauenerweckend. Seine Hand fühlte sich rau an und löste ein Kribbeln in ihrem Nacken aus. Ihre Augen trafen sich – blaue Augen, intensiv mondwindenblau. Kathryns Herz wurde ganz leicht.
Augen zum Darinversinken, seltsam vertraut.
Sie räusperte sich. »Herzlich willkommen!«
»Oh, Sie sprechen Deutsch?«
Das an der Seite gescheitelte, kräftige Haar fiel ihm leicht wellig in die Stirn, mit einer schnellen Handbewegung schob er es energisch zurück.
»Ein bisschen, ich habe einige Monate in Berlin bei Freunden meiner Mutter gelebt und dort eine Höhere-Tochter-Schule besucht.«
Kathryns Vater verstand nur seine Muttersprache. Er schaute seine Tochter fragend an.
»Oh, fantastic!«, kam der Blonde ihm zu Hilfe. »Pleased to meet you, Miss Whitewater. I’m Gustav ter Fehn.«
Er war etwas sehniger, nicht ganz so groß wie sein Freund. Das energische Kinn und der kleine Mund mit scharf geschnittener Oberlippe verrieten Willensstärke. Obwohl er blond war, hatte er dunkelbraune Augen. Apart, dachte Kathryn, erneut verwirrt. Eigentlich müsste doch der Dunkelhaarige die dunklen Augen haben und der Blonde die blauen …
Gustav schaute sie etwas zu lange an, charmant hoben sich seine Augenbrauen über der Nasenwurzel. Gott, wie er guckte, das fiel doch schon in die Kategorie unschicklich! Kathryn spürte Hitze in sich aufsteigen. Sie hatte nicht viel Erfahrung mit Männern, auch wenn sie gern ihren Freundinnen gegenüber verruchte Andeutungen über ihre wilde, ausschweifende Zeit in Berlin machte. Doch sie besaß einen gesunden Instinkt. Und der sagte ihr, dass unter diesem Blick eine gefährliche Glut lauerte, die eine Frau entflammen und vielleicht sogar verbrennen konnte.
Höflich lauschten sie den musikalischen Darbietungen.
»Lasst uns reingehen, den Gentlemen einen erstklassigen First Flush Darjeeling kredenzen«, schlug der Hausherr vor.
Sie wandten sich dem hellgelb gestrichenen Haus zu, das auf den ersten Blick sehr einladend wirkte. Es war im Kolonialstil erbaut, zweistöckig und mit grünen Bambusschindeln gedeckt. Whitewater erklärte den Gästen, dass die meisten Häuser in der Gegend Bungalows seien, »nach Art der Bengalen erbaut«, so die ursprüngliche Bedeutung des Wortes. Aber auch hier gab es eine rundum verlaufende Veranda, auf der Töpfe mit rot blühenden Geranien standen, und deren Dachtraufe mit einer filigran geschnitzten Holzverzierung abschloss. Weiß gestrichene Holzläden schützten die Sprossenfenster und -türen.
Whitewater ging mit Carl voran, Kathryn und Gustav folgten ihnen die Stufen unter dem spitzgiebeligen Portal hinauf auf die Veranda. Die Arbeiter und Pflückerinnen sangen und tanzten zu ihrem eigenen Vergnügen weiter. Dienstboten schenkten gekühlte Zitronenlimonade aus. Auch die Angestellten genossen die Abwechslung im Arbeitsalltag – alle, vom Verwalter über die Sekretärin und Köchin bis zu den
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