Die Rose von Darjeeling - Roman
ihn gleich gegen eine Boxentür. Zwischen Zaumzeug und Ledersattel verlor Gustav die Kontrolle über sich. Er warf die Witwe ins Heu, badete in wogenden Brüsten und ausladenden Hüften und vergaß alle guten Manieren.
Die Witwe bat ihn, länger zu bleiben. Doch die kleine Affäre hatte nur kurz seinen Körper besänftigt, seine Seele befand sich noch immer in Aufruhr. Gustav glühte, und diese Lady würde sein Feuer nicht löschen können. Er bedankte sich bei ihr und zog weiter.
Schlimmer als das, vernichtender als seine Liebessehnsucht aber fühlte sich das ätzende Gift der Eifersucht an – dass er ausgerechnet Carl beneiden musste! Dass er nicht mit seinem besten Freund über alles sprechen konnte!
Zwischen zwei Übernachtungseinladungen hatte er drei Tage Zeit, die er in einem Hotel in Darjeeling verbrachte, weil er Geestra Valley meiden wollte. Während seines Aufenthalts traf er sich auch mit Colonel Frank Robbins. Sie begrüßten sich wie alte Freunde. Als Robbins berichtete, dass er nach seiner unehrenhaften Entlassung keine Chance mehr sah, vom britischen Berater in Sikkim als Übersetzer beauftragt zu werden, machte Gustav ihm ein Angebot.
»Du hast doch Erfahrungen als stellvertretender Verwalter eines Teegartens, mein Lieber. Ich möchte in Deutschland und Europa gerne den ersten und einzigen Super-Deluxe-Tee aus Sikkim anbieten.« Robbins guckte verständnislos. Dann begann er zu verstehen und wurde rot um die Ohren. »Du denkst, du meinst … Aber das …«
»Ja, das kostet. Ich kann dir nur einen Zuschuss geben und eine Abnahmegarantie, über die wir noch näher sprechen müssten. Was denkst du?«
Robbins musste nicht lange überlegen. »Das ist höchst akzeptabel.«
Er wusste, dass auch seiner Braut das Leben in der Natur, zumal in den für den Teeanbau geeigneten Regionen Sikkims, sehr zusagen würde.
Die Pläne für dieses Unternehmen lenkten Gustav zumindest zeitweise vom Kummer um seine enttäuschte Liebe ab.
Am Morgen der Soiree bei den Apples schickte Lord Taintsworth eine Nachricht: Er erlaube sich, Kathryn mit seinem Chauffeur am Abend abzuholen. Und Mrs Apple ließe durch ihn anfragen, ob sie ihre Harfe mitbringen könne.
Carl wollte nicht mitkommen. Er bat Kathryn, ihn zu entschuldigen. Er verbrachte seine Zeit lieber mit Pflanzen als auf gesellschaftlichem Parkett. Kathryn bedauerte das zwar, doch die Aufmerksamkeiten des Lords schmeichelten ihr. Er machte ihr den Hof nach allen Regeln der Kunst. Als junger Mann hatte er gewiss nicht übel ausgesehen. Sie sah in ihm eine Vaterfigur. Er sprach interessant von der Kanalinsel Jersey und erzählte Anekdoten über Begegnungen mit bekannten Adligen und Unternehmern. Dabei ließ er dezent durchblicken, dass der Name seiner Familie in mehrfacher Hinsicht gleich nach dem der Rothschilds genannt wurde.
Immer wieder führte er galant Kathryns Hand an seine Lippen. Ihr schien, er versuchte sogar, den Bauch einzuziehen. Was ihr ein kleines Lächeln entlockte, das der Lord als Zeichen der Ermutigung wertete.
»Sie erwähnten einmal, dass Sie gern Medizin studieren würden. Wie ernst ist es Ihnen damit?«, fragte er.
»Ja, ich wollte es immer gern. Aber mein Vater ist strikt dagegen. Ich möchte ihn nicht verletzen …« Kathryn überlegte. »Und wenn ich ganz ehrlich bin, manche Krankheiten sind doch recht eklig. Inzwischen glaube ich, dass es mir wohl in erster Linie darum geht zu helfen.«
»Das kann man ja auf vielfältige Art und Weise«, meinte er, wie ihr schien, erleichtert. »Unsere Familie ist bekannt für ihr karitatives Engagement.« Er schilderte einige wohltätige Projekte, die sie beeindruckten.
Die Apples hatten wieder eine begnadete Pianistin zu Gast. Kathryn sollte sie im Salon auf der Harfe begleiten. Sie stellte Stuhl und Instrument in die richtige Position, nahm Platz. Beklommen schaute sie in die vorderen Sitzreihen der feinen Gesellschaft. Ernste, würdige und eingebildete Gesichter musterten sie kritisch. Täuschte sie sich? Nicht wenige darunter wirkten, als warteten sie nur darauf, sie gnadenlos mit Hohn und Spott zu übergießen.
Kathryns Augenlider begannen zu flattern. In ihrem Magen machte sich ein flaues Gefühl breit. Hoffentlich konnte sie noch spielen! Seit Sikkim war sie abgesehen von der letzten Märchenstunde, wo sie H. C. Andersens Das hässliche kleine Entlein erzählt und musikalisch interpretiert hatte, nicht zum Üben gekommen. Sie schaute auf die schwarz-weißen Bodenfliesen, um sich zu sammeln
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