Die Rose von Darjeeling - Roman
annehmbarer Vorschlag.«
»Das ist genial!«, rief Kathryn begeistert. »Wieso sind wir noch nicht selbst darauf gekommen? Die Sträucher im Ostteil müssen ohnehin bald durch junge ersetzt werden. Dann könnten wir es doch bei der Gelegenheit ausprobieren.«
Aldous Whitewater nickte nur. Er brummte etwas vor sich hin. Neue Teepflanzen brauchten sieben bis acht Jahre, bevor sie Ertrag brachten. Diesen Ausfall konnten sie sich nicht leisten. Überhaupt musste er dringend mit seiner Tochter über die bevorstehende finanzielle Katastrophe sprechen. Und vielleicht auch andeuten, dass es um seine Gesundheit nicht allzu gut stand. Sein Herz machte nicht mehr richtig mit. Dr. Apple hatte ihm dringend zu mehr Ruhe geraten. Vor allem dürfen Sie sich nicht aufregen, hatte der Arzt gesagt. Aldous Whitewater wollte sich ja auch nicht aufregen, man zwang ihn nur fortwährend dazu! Die schlechten Teeauktionspreise! Die billigen Absagen der Banken! Die unsicheren Zeiten und vor allem das unverschämte Angebot dieses Lords!
Aber mit Kathryns Rückkehr und ihrer Versöhnung war wieder Freude in sein Leben zurückgekehrt. Und er wollte seine Tochter, die sichtlich aufblühte, nicht gleich wieder belasten. Er gönnte ihr die unbeschwerten, glücklichen Tage!
Kathryn bedauerte, dass ihr Vater nicht mehr Enthusiasmus an den Tag legte. Manchmal beschlich sie das Gefühl, dass ihn trotz ihrer glücklichen Versöhnung noch etwas bedrückte. Doch dann sagte sie sich, dass ihr Blick wohl verstellt sei. Weil sie selbst derzeit so glücklich war, so unglaublich glücklich, und dieses Glück leider nicht zum Maßstab für andere nehmen konnte.
Fast jeden Abend schlich Kathryn sich zu Carl ins Gästehaus, wo er schon ungeduldig wartete. Jay, Chandra, Yaya, der Verwalter Mr Brooks, ein Dienstmädchen und der Nachtwächter wussten längst Bescheid. Und damit bald ganz Geestra Valley, außer Aldous Whitewater.
Manchmal brachte Kathryn eine Leckerei, Pralinen oder etwas zu trinken mit. Manchmal unternahmen sie noch einen Ausritt durch den von spätnachmittäglichem Glanz übergoldeten Teegarten. Ab und zu schauten sie gemeinsam im Dorf nach dem Rechten. Dabei bewunderte Carl Kathryns Art, mit den Leuten umzugehen und ihnen mit kleinen Dingen Freude zu machen.
»Wieso tust du das?«, fragte er. »Andere junge Damen in deinem Alter kümmern sich um ihre Kleider und vergnügen sich mit Freundinnen.«
»Reiner Egoismus«, sagte Kathryn selbstironisch, dann trat ein ernster Ausdruck in ihre Augen. »In meinem ersten Mädchenpensionat in England war ich sterbensunglücklich. Mutter und Bruder waren tot, der Vater weit weg. Um mich herum dumme Gänse und strenges Lehrpersonal. Ich hangelte mich von Tag zu Tag. Da konnte ein freundliches Lächeln helfen, wieder einen Tag zu überstehen.«
Carl nickte. Ja, kleine Gesten vermochten ein schweres Herz leichter zu machen. Man wusste es, doch man handelte zu selten danach. Er dachte an ihre gemeinsamen Stunden in der Schneehöhle. Gewiss spielte das traumatische Unglück, der Verlust von Mutter und Bruder, eine entscheidende Rolle für ihr Verhalten. Wahrscheinlich litt sie immer weiter unter dem Schuldbewusstsein.
»Quält dich noch die Frage, warum du überlebt hast?«
Kathryn blickte Carl überrascht an. Sie zuckte die Schulter. »Vielleicht. Ich weiß nicht.« Wie klug er war! Er kannte sie offenbar besser als sie sich selbst. Zögerlich gab sie zu: »Wahrscheinlich. Ja, schon … Ich glaub, das hört auch nie auf, solange ich lebe.«
Kathryn und Carl liebten sich, sooft sich die Gelegenheit bot. Und irgendwann passierte es. Liebe und Lust katapultierten sie beide in eine andere Dimension! Staunend sahen sie sich in die Augen. Ein Wunder! Gewiss war das, was sie gerade erlebten, zuvor noch nie anderen Menschen widerfahren. Nicht so! Sie hatten sich eingeigelt in ihrer eigenen Welt. Die glühenden Holzscheite knackten, als einzige Lichtquelle erleuchteten sie den Raum schwach rötlich. Regen pladderte aufs Dach und gegen die Scheiben.
Carl zeichnete mit dem Finger die Konturen von Kathryns Gesicht nach. Sie tauchte ganz tief in das Blau seiner Augen hinein. Selbst auf dem silbrig hellen Grund, auf dem winzige Diamanten glitzerten, schien es von kristallener Klarheit. So hoch ist der Mond, dachte Kathryn, so hoch wie seine Augen tief sind. Sie räkelte sich genüsslich.
»Darjeeling – weißt du, was das bedeutet?«, flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf.
»Es ist der Legende nach der Ort,
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