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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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haben.«
    Nach ihrer ersten Nacht mit Carl hatte Kathryn geglaubt, jeder müsste ihr von der Stirn ablesen können, was geschehen war. Doch kein Mensch machte eine einzige Bemerkung.
    Selbst ihr Vater schien nichts zu bemerken. Kathryn war überglücklich, dass sie sich endlich ausgesprochen hatten. Eine Riesenlast war von ihr abgefallen. Endlich konnte sie ihm auch einige Fragen stellen. Sie wollte wissen, weshalb er ihr nie Näheres über die Umstände des Unfalls erzählt hatte.
    »Ich hatte doch einen Blackout, Papa. Ich konnte mich weder an die Schlammlawine erinnern noch daran, dass du mich herausgezogen hast. Ich weiß nur, dass ich irgendwann im Bett lag, und der Arzt kam.«
    Tagelang hatte sie bewusstlos im Krankenhaus gelegen. Ihre Mutter und ihr Bruder waren schon beerdigt, als sie wieder zu sich kam. Sie hatte sich nicht von ihnen verabschieden können. Sie waren einfach weg gewesen. Ohne jede Vorwarnung oder Ankündigung. Verschwunden. Für immer.
    Ihr Vater kratzte sich am Kinn. »Ja, weißt du, ich dachte, wenn du dich an das Schrecklichste nicht mehr erinnerst, dann ist das vielleicht besser für dich. Ich wollte es dir nicht mit Gewalt ins Gedächnis zurückrufen. Dann quält es dich nur noch mehr, dachte ich.«
    »Dabei war es genau umgekehrt. Es hat mich mehr gequält, weil ich es nicht wusste, oder richtiger, weil ich es verdrängt hatte.«
    Aber da war noch etwas, das sie schon lange beschäftigte. »Was ist mit Mamas Familie? Wieso kenne ich meine Verwandten mütterlicherseits nicht?«
    »Ihre Eltern sind früh gestorben, und sie hatte keine Geschwister. Ihr Vater war auch Teepflanzer, im Mirik-Tal …«
    »Ja, ich weiß. Das ist eine abgelegene, schwer zu erreichende Gegend.«
    »Damals nur per Pferd. Ihr Vater hatte schottische Wurzeln. Ihre Mutter stammte wohl aus Norditalien, oder deren Mutter. Genaueres über die italienische Verwandtschaft ist mir nicht bekannt. Man hatte sich aus den Augen verloren. Wahrscheinlich waren es einfache Leute, und sie legten keinen Wert auf weiteren Kontakt.«
    Die Antwort enttäuschte sie ein wenig. Kathryn war gespannt, was Marya Apple ihr noch über ihre Mutter erzählen konnte – und was sie ihr geben wollte.
    Kathryn war erleichtert, dass ihr Vater Gustav und Carl keine Vorwürfe machte. »Ich weiß, wie dickköpfig meine Tochter sein kann«, sagte er Carl gegenüber. »Eher bin ich Ihnen wohl zu Dank verpflichtet, dass Sie sie mir heil zurückgebracht haben.«
    Immer wieder folgte Kathryn einem Impuls und gab ihrem Vater im Vorübergehen einen Kuss auf die Wange oder umarmte ihn spontan. Er reagierte überrascht, gerührt.
    »Ich hab ja jetzt fünf Jahre nachzuholen«, lächelte sie.
    Und Aldous Whitewater, der sich immer noch schwertat mit väterlichen Zärtlichkeiten und wohl auch bis an sein Lebensende nicht über die Schatten seiner Erziehung würde springen können, drückte Kathryns Arm oder lächelte dankbar zurück.
    »Ich habe mir heute all jene Hänge im Teegarten angesehen, die bei starken Regenfällen besonders erdrutschgefährdet sind«, berichtete Carl eines Abends beim Dinner nach einem seiner Ausritte in die Natur. Diese Stellen waren leicht zu erkennen. Sie sahen aus wie von einer riesigen Tigerkralle in den Berg geritzt: gelbe Erde zwischen dem Grün der Teesträucher. »Und wenn Sie erlauben, Mr Whitewater, würde ich gern einen Vorschlag machen, wie man das Risiko vermindern könnte.«
    »Ja ja, ich weiß schon«, sagte der Pflanzer, »eigentlich müssten wir mehr Terrassen bauen und den Wald wieder aufforsten. Ist aber zu aufwendig. Schön in der Theorie, aber Theorie und Praxis …«
    »Nein, was ich meine, ist etwas anderes«, unterbrach Carl und strich mit der Linken entschieden das kräftige gewellte Haar zurück, das ihm gleich wieder in die Stirn fiel.
    Skeptisch bedeutete der Hausherr ihm, er solle weiterreden.
    »Also, wenn Sie die Reihen der Teesträucher dort nicht länger längs, sondern quer pflanzen würden …«
    »Quer zu was?«, unterbrach Whitewater.
    »Zur Laufrichtung der Wasserströme, die sich bilden, wenn es in der Monsunzeit heftig regnet.«
    »Ja, in Ordnung, und weiter?«
    »Dann hätten Sie eine natürliche Barriere gegen den herunterlaufenden Schlamm. Entlang der Höhenlinien gesetzt würden die Teepflanzen dazu beitragen, das Erdreich zu festigen.«
    Der alte Whitewater zog eine Braue hoch. »Das ist …«, er machte eine Bewegung als scheuerte der Hemdkragen am Hals, »das ist … ein durchaus

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