Die Rose von Darjeeling - Roman
dort wachsen fantastische Wildarten …«
Er schilderte, wie französische Missionare dort einst als erste Europäer auf Pflanzenjagd gegangen waren. Während Carl sprach, hörte Kathryn mit einem Ohr am Brustkorb seinen Herzschlag, und sie spürte die Vibrationen seiner tiefen Stimme. Hier bin ich zu Hause, fühlte sie, an genau dieser Stelle. Solange ich hier liegen kann, wird es egal sein, in welchem Land wir sind.
»Und nach China schauen wir uns in Alaska um, wegen der Winterhärte.«
»Pyramidal, ich wollte immer schon eine Fahrt mit dem Schlittenhund machen!«
»Unsere neuen Sorten werden wir auf den besten internationalen Gartenbauausstellungen präsentieren …«
»… und sämtliche Medaillen abräumen. Oh, ich freu mich schon auf die Chelsea Flower Show!« Die traditionsreiche Blumenschau im Londoner Stadtteil Chelsea war alljährlich im Mai das gesellschaftliche Ereignis, König George V. und Königin Mary pflegten am Eröffnungstag vorbeizuschauen. »Ich werde mir einen passenden Strohhut mit Rhodoblüten anfertigen lassen.«
Wieder lachten sie albern und ausgelassen, wie man es nur sein kann, wenn man sich rundum geliebt fühlt. In dieser Nacht blieb Kathryn bis kurz vor dem Sonnenaufgang.
Es war noch sehr kalt, als sie erwachte. Kathryn zog sich an und strich Carl mit einer unendlich zärtlichen Geste das Haar aus der Stirn. Mit geschlossenen Augen zog er sie an sich.
Sie flüsterte: »Ich muss jetzt los, Chandra bringt dir gleich den Tee ans Bett, und mein Vater erwartet mich bald in der Welkstation.«
Carl knurrte unwillig. Er öffnete die Augen, sah durch das Fenster die Morgendämmerung. »Eine halbe Stunde hast du noch Zeit, oder?« Er setzte sich auf und sprang aus dem Bett. »Ich komm mit raus.« Er zog sich rasch an und nahm eine Wolldecke mit.
Sie traten gemeinsam aus dem Gästehaus. Hand in Hand gingen sie zu ihrem Platz hinter dem Glaspavillon. Auf der Bank unter dem Rhododendron legte Carl seinen Arm um Kathryn, sie kuschelten sich unter der Wolldecke aneinander und wärmten sich. Schweigend schauten sie dem Sonnenaufgang zu. Singvögel bejubelten das Schauspiel.
Über den Nebeln in den Tälern staffelten sich Bergsilhouetten in Blaugrautönen, darüber erhob sich ein weiter Himmel in Farben von hellgelb über hellblau bis lilablau. Leichte Dunstschleier verliehen ihm etwas Transparentes, Leuchtendes. Als steckte dahinter ein Geheimnis und dahinter noch eines. Als sei dieses Geheimnis eine göttliche Wirklichkeit, die kein Mensch zu Lebzeiten erblicken durfte.
Wolken erglühten an den Rändern erst rosa, dann in Orange mit flüssigem Gold – bis die Sonne darüber erstrahlte und die Welt in ein zuversichtliches rosagelbes Licht tauchte.
Carl räusperte sich. Er war kein großer Kirchgänger, aber nun ging ihm ein Psalm durch den Sinn. Halblaut zitierte er ihn. »Und nähme ich Flügel der Morgenröte und flöge bis ans äußerste Meer, du wärest doch bei mir …«
Kathryn schloss die Augen, sog tief den Rhododendronduft ein.
»In sechs Tagen reisen wir ab«, sagte Carl. Er zog Kathryn enger an sich.
»Ich weiß.«
Was sollte dann werden? Ihr Herz klopfte heftig. Sie spürte Tränen aufsteigen und senkte rasch den Kopf.
Carl legte einen Finger unter ihr Kinn. »Sieh mich an«, bat er mit rauer Stimme.
Sie hob den Blick, ihre grünen Augen schimmerten feucht.
»Kathryn, kannst du dir vorstellen, in Deutschland zu leben?«
»Es gibt nur eines, was ich mir nicht vorstellen kann«, antwortete sie, »und das wäre, in Zukunft ohne dich zu leben.« Sie versuchte ein komisches Lächeln, zuckte die Achseln. »Das geht einfach nicht.«
»Ich liebe dich!«
Jetzt rollte doch eine Träne ihre Wange hinunter. »Ich liebe dich auch!«, flüsterte sie, weil ihre Stimme versagte.
Carl rutschte von der Bank und vor Kathryn auf die Knie. Er hielt ihre Hand. »Kathryn Whitewater, willst du mich heiraten?«
»Ja!« Noch nie hatte ein Flüstern so glücklich geklungen. »Ja, ich will dich heiraten!«
Kathryn hielt es für besser, ihren Vater vorsichtig vorzubereiten, bevor Carl offiziell bei ihm um ihre Hand anhielt. Sie wartete ungeduldig ihre gemeinsamen morgendlichen Arbeitsrituale während des Second Flush ab. Erst als sie auf der Veranda ihren Elf-Uhr-Tee einnahmen, kam sie auf Privates zu sprechen.
»Ich hab dir Post aus Darjeeling mitgebracht«, begann Kathryn und reichte ihm drei Umschläge, von denen einer sehr amtlich aussah. Sie nahm einen frisch gebackenen Ingwerkeks aus
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