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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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und zu beruhigen. Bestimmt würde die kluge Marya Apple, die beste Freundin ihrer Mutter, sie nicht unbedacht einer Meute zum Fraß vorwerfen.
    In ihrem knöchellangen türkisfarbenen Crêpe-de-Chine-Kleid mit silbriger Spitze sah Kathryn hinreißend aus. Die Damen tuschelten, weil sie zwei unterschiedliche silberne Ohrgehänge trug, eines mit einem Türkis in einem Korallenkranz, das andere nur mit einer Koralle. Was Kathryn selbst nicht bewusst war: Die Liebe ließ ihre Augen strahlen, die Haut rosig schimmern, und sie machte ihre Bewegungen geschmeidiger.
    Die Pianistin war eine konzerterfahrene ältere Australierin. Sie gab den Einsatz und spielte mit frischem Schwung. Präzise, doch unkonventionell. Ob Elgar oder Chopin – ihre Freude an der Musik riss Kathryn mit. Auch das Publikum konnte nicht anders, als begeistert zu sein.
    Drei Zugaben mussten sie spielen! Der Applaus tat Kathryn wohl wie warmer Balsam. Dankbar lächelte sie, anmutig und wunderschön, und zog damit auch die letzten moralinsauren Zweifler auf ihre Seite. Nach den klassischen Musikstücken wählte die Pianistin nun flotte Salonmusik zum Mitsingen. Mrs Apple strahlte vor Zufriedenheit.
    Bei dem siebengängigen Dinner wurde Kathryn von der Hausherrin und den anderen Gästen ausführlich zu ihren Abenteuern in Sikkim befragt. Lebhaft berichtete sie von Flora und Fauna und von den Erlebnissen mit den Lepchas. Sie konnte es sich nicht verkneifen, die Vielmännerei zu erwähnen. Darauf reagierte die Gesellschaft, durch gute Weine in Stimmung gebracht, mit allerlei Scherzen.
    Die neuen Einträge im Gästebuch bestätigten, dass es allen gefallen hatte. »Es war ein gelungener Abend« konnte man darin lesen, »Unvergesslich!« »Wunderbar, einmalig – Gastfreundschaft und Unterhaltung auf höchstem Niveau«.
    Lord Taintsworth stand in der Halle der Apple’schen Villa, um Kathryn zum Planters’ Club zu begleiten, wo sie übernachten wollte. Als sie an der Garderobe in ihren Samtmantel schlüpfte, kam Marya Apel auf sie zu und nahm sie zur Seite. Sie überreichte ihr einen Briefumschlag.
    »Diesen Brief hat deine Mutter erhalten, kurz bevor sie deinen Vater heiratete. Sie wollte nicht, dass er den Inhalt erfährt und hat ihn mir gegeben. Ich denke, es ist in ihrem Sinne, dass ich ihn heute an dich weiterreiche.«
    Erstaunt nahm Kathryn den vergilbten Umschlag entgegen. Die Briefmarke war alt, der Poststempel ließ sich bei genauem Hinsehen entziffern: 7.8.1909.
    »Bitte, Kathryn, lies den Brief nicht gleich, sondern in Ruhe. Und wenn du anschließend mit jemandem reden möchtest, ich bin jederzeit für dich da, mein Liebes.«
    Marya Apple küsste sie auf beide Wangen. »Und noch mal ganz herzlichen Dank für dein göttliches Harfenspiel und für deine Sikkim-Erlebnisberichte.«
    Dr. Apple verabschiedete sich an der Haustür mit beiden Händen von ihr. »Und bitte erinnere deinen Vater daran, dass er unseren Termin nicht wieder vergisst.«
    »Was für einen Termin?«
    »Ach, er weiß schon …«
    »Ja, mach ich …« Kathryn nickte verwundert.
    Der Lord wartete an der Tür auf sie.
    »Können wir zu Fuß gehen?«, bat Kathryn. »Mein Instrument können wir auch morgen abholen.« Ihre Wangen glühten von all den Aufregungen und vom guten Wein.
    »Selbstverständlich, gern«, beeilte er sich, ihr gefällig zu sein. »Und natürlich bringt mein Chauffeur Sie morgen zurück.«
    Schweigend spazierten sie durch enge steile Gassen in Richtung Chowrasta. Es war kühl und roch nach Kaminfeuern.
    Kathryn überlegte, was wohl in dem Brief stehen könnte. Vielleicht sollte sie wirklich nicht gleich hineinschauen. Irgendetwas hemmte sie. Ihr Leben gefiel ihr endlich genau wie es war. So glücklich hatte sie sich als Erwachsene nie zuvor gefühlt: Versöhnt mit ihrem Vater, verliebt in Carl … Besser konnte es nicht werden.
    Ich werde den Brief noch eine Weile ungelesen lassen, nahm sie sich vor. Kaum traute sie sich, als ihre Nase lief, nach dem bestickten Stofftaschentuch in ihrer Tasche zu suchen. Ihr schien, sie könnte sich an dem Stück Papier darinnen die Finger verbrennen. Kathryn sah nicht die Sterne, spürte nicht die romantische Stimmung. Lord Taintsworth jedoch öffnete die Juninacht das Herz. Dieses zauberhafte Wesen neben ihm, das schon Mut und Eigensinn bewiesen hatte, Eigenschaften, die er durchaus an einer Frau schätzte, ja sogar voraussetzte, um mit ihr den Rest seines Leben verbringen zu können, dieses junge Blut weckte in ihm Gefühle, die

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