Die Rose von Darjeeling - Roman
zusätzlichen Aufregung abschirmen.«
Carl küsste sie. Er hielt sie fest in seinen Armen.
Sie sah tief in seine mondwindenblauen Augen und fühlte sich getröstet.
Wie Kathryn am nächsten Tag von ihrem verkaterten Vater erfuhr, sollte die Zwangsversteigerung bereits in zwei Wochen stattfinden. Sie war schockiert.
»Ich wusste es schon länger«, gestand er tief zerknirscht, »ich hab’s nur nicht wahrhaben wollen.«
»Verdammt! Dann haben wir ja überhaupt keine Chance mehr, etwas zur Rettung zu unternehmen!« In zwei Wochen würden sich Carl und Gustav noch auf hoher See befinden, wie sollte Carl so schnell einen Investor auftreiben?
Obwohl noch jede Menge Arbeit auf sie wartete, ließ Kathryn ihr Pferd satteln und preschte davon: durch den Teegarten, durch ein Stück Wald, hinauf auf eine Anhöhe. Erst als ihre Stute Schaum vor dem Maul hatte und nass geritten war, hielt Kathryn an. Sie klopfte Joshi den Hals.
»Tut mir leid, braves Mädchen!«
Kathryn ließ das Pferd grasen, stapfte ein Stück durchs hohe Gras, bis sich der Aufruhr in ihr etwas gelegt hatte. Ratlos setzte sie sich unter einen Baum – und bemerkte jetzt erst, dass sie sich auf dem Mangohügel befand. Sie war seit dem Unglück nicht mehr hier gewesen.
Ihr Vater hatte hohe Felsblöcke als Grabsteine für ihre Mutter und ihren Bruder, die hier ihre letzte Ruhe gefunden hatten, aufstellen lassen. Von dieser Stelle aus überschaute man Geestra Valley mit dem Dorf in seiner ganzen Schönheit.
Kathryn stand auf und ging zu den Gräbern. Nur die Namen und Geburts- und Todesdaten waren eingemeißelt. Mit den Fingerspitzen fuhr sie darüber, das körnige Gestein hielt noch Sonnenwärme gespeichert.
»Mama, Aldou, ich bin’s, Kathryn.« Ihre Stimme brach.
In diesem Augenblick fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Endlich wusste sie, warum sie hatte überleben dürfen: damit sie Geestra Valley retten konnte.
Doch was würde das bedeuten? Würde es bedeuten, dass sie auf Carl verzichten müsste? Sollte das wirklich die Lösung sein? Könnte sie das, ohne daran zugrunde zu gehen?
Der Wind fuhr über die Anhöhe, streifte sie wie mit einer messerscharfen Klinge. Kathryn hörte eine Bö näherkommen und wieder davonfegen. Sie fröstelte.
»Ach, Mama, was soll ich nur tun? Kannst du mir nicht ein Zeichen geben? Bitte, gib mir ein Zeichen!«
So viel Verkehr zwischen dem Teegarten und Darjeeling wie am nächsten Tag hatte es selten gegeben. Manche Wagen begegneten sich auf halber Strecke, hupten oder hielten für einen kurzen Plausch der Insassen. Tinley fuhr ohne Unterlass Kisten mit dem neuen Second Flush zum Bahnhof. Aldous Whitewater setzte sich selbst hinter das Steuer seiner Limousine, um den Termin bei Dr. Apple wahrzunehmen. Kathryn hatte ihn so inständig gebeten, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Sie kündigte an, dass sie mit Tinley nachkommen und persönlich mit Dr. Apple sprechen würde. Vorher musste sie noch einige dringende Arbeiten erledigen. Sie nahm auch Aashmi mit nach Darjeeling.
Gustav kehrte an diesem Tag zurück, und Carl begrüßte ihn freudig. »Wie war’s? Erzähl, alter Junge!«
»Mach ich später.«
Es wurde Zeit, die Sachen für die Rückreise zu packen, einige Kisten mit Tee für Deutschland mussten vorgeschickt werden.
»Die Whitewaters sind gerade in Darjeeling. Kannst du mir den Ford für zwei Tage ausleihen?«
»Ja, sicher.«
Gustav musste sich eingestehen, dass Carl fabelhaft aussah: ein strahlender junger Mann in der Blüte seines Lebens, von der Liebe geküsst, genauer gesagt, von Kathryn geliebt. Es war schwer erträglich für Gustavs wundes Herz.
»Es gibt schlechte Nachrichten. Der Teegarten steht kurz vorm Ruin«, eröffnete Carl ihm. Er nannte die Summe, die Geestra Valley retten konnte.
Gustavs einziger Kommentar war ein kurzer Pfiff durch die Zähne.
»Könnte die Firma ter-Fehn-Tee nicht investieren?«
»Nicht in dieser Höhe!«, wehrte Gustav scharf ab. »Ich werde in Zukunft mit Frank Robbins zusammenarbeiten. Er plant, einen Teegarten in Sikkim zu eröffnen. Hab ihm gerade einen Zuschuss dafür versprochen. Außerdem wollen wir bald unsere normalen Tees auch in Beuteln anbieten – das ist die Zukunft fürs Massengeschäft. Die Maschinen dafür sind teuer und schon bestellt.«
»Ich hatte befürchtet, dass es zu viel ist … Übrigens …«, Carl übermittelte ihm die große Nachricht ohne Vorgeplänkel. »Kathryn und ich … wir wollen heiraten.«
Gustav fühlte sich, als hätte
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